»Uns geht es nicht um die Farben«

DGB-Bezirkschef Christian Hoßbach fordert vom neuen Senat, dass das Thema Gute Arbeit vorangebracht wird

Die Sondierungen für eine neue Koalition und einen neuen Senat laufen. Eine Fortführung von Rot-Rot-Grün ist möglich, eine Koalition aus SPD, Grünen und FDP ebenso. Was wünscht sich der DGB?

Die letzte Koalition und der Senat haben eine Menge erreicht, und es gibt aus unserer Sicht keinen Grund, an den Grundzügen dieser Politik etwas zu ändern. Der DGB wird nicht sagen, die eine oder andere Farbe muss es unbedingt sein. Das wäre auch naiv. Wir haben ja mit allen Koalitionsparteien mal Meinungsverschiedenheiten. Aber klar: Natürlich steckt uns allen in den Knochen, was schwarz-gelbe Bundesregierungen vor 1998 und von 2009 bis 2013 besonders sozialpolitisch angerichtet haben. An vielen Stellen ist es schwer vorstellbar, dass wir mit einer FDP große Schritte nach vorne machen. Aber wir sind Einheitsgewerkschaft und sprechen mit allen demokratischen Parteien.

Wie nehmen Sie die Gespräche zwischen den Parteien bisher wahr?

Man hält sich ja sehr bedeckt, und das ist eher ein gutes Zeichen. Inhaltlich scheint der Corona-Konsens zu halten, dass zum Beispiel bei Themen wie Kündigungsschutz oder gesetzliches Rentenalter gewerkschaftliche Kernfragen nicht verletzt werden. In Berlin werden sich die Parteien anschauen, was im Bund passiert – aber automatische Auswirkungen hat das Ergebnis nicht. Und wir haben rechnerisch die Möglichkeit Rot-Rot-Grün weiterzuführen, im Gegensatz zum Bund.

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»Es ist eher verwunderlich, dass es so lange gut gegangen ist«

Der Gewerkschafter Freddy Adjan sagt, die deutsche Fleischindustrie sei von Grund auf krank. Er fordert ein Ende prekärer Arbeitsverträge in Schlachthöfen und Mindeststandards für Arbeiterunterkünfte Jörg Meyer sprach mit ihm über die Zustände in deutschen Schlachthöfen.

Von Jörg Meyer

Seit den Corona-Ausbrüchen in mehreren Schlachtbetrieben werden die Arbeits- und Wohnbedingungen der Beschäftigten wie auch Werkverträge als eine extrem prekäre Form der Beschäftigung erneut scharf kritisiert. Sie dürften wenig überrascht sein, dass sich dort die Infektionen häufen.

Ich stelle mir Schlafsäle mit Stockbetten vor.

Das ist so. Häufig werden Sammelunterkünfte angemietet, alte Kasernen oder leerstehende Wohn- und Bürogebäude. Die Subunternehmen, die beispielsweise den Auftrag über 10 000 Schweinehälften haben und dafür Arbeitskräfte nach Deutschland holen, treten dann auch als Vermieter auf. Oder die Gebäude werden von wieder anderen Subunternehmen angemietet und an die Beschäftigten weitervermietet – zu horrenden Preisen. Ich habe von Fällen gehört, in denen die Menschen sich in Schichten eine Matratze teilen und dafür 200 Euro im Monat bezahlen müssen. Die Kette von Subunternehmen und Fremdfirmen ist aus unserer Sicht eines der Grundübel in der Branche. Hier muss die Politik dringend tätig werden.

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Der Herrenwitz ist nicht mehr en vogue

Monika Brandl, Vorsitzende des ver.di-Gewerkschaftsrates, spricht über sexistische Klischees, Gleichstellungspolitik und erzwungene Teilzeit

Von Jörg Meyer

Als die Frauenquote für Dax-Unternehmen Anfang des Jahres eingeführt wurde, wurde sie scharf kritisiert, weil sie unter anderem eine zu geringe Reichweite hat. Was hat sich im Telekom-Aufsichtsrat geändert?
Auf der Arbeitnehmerbank sind wir schon lange fünf Frauen und fünf Männer. Auf der Anteilseignerseite hatten wir lange Zeit keine Frau, mittlerweile sind es drei, was ich sehr gut finde.

Eine andere Kritik ist: Dass Frauen angeblich für eine angenehmere Stimmung sorgen, sei auch wieder nur ein sexistisches Klischee?

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Frauen sind nicht selber Schuld

Altersarmut ist weiblich. Die Europäische Ethnologin Irene Götz von der Ludwig-Maximilians-Universität in München hat eine Studie zur Altersarmut von Frauen in Großstädten vorgelegt. Ich sprach mit ihr über die Ergebnisse und was das mit der aktuellen Rentendebatte und der Grundrente zu tun hat.

Die Geschichten der interviewten Frauen in Ihrem neuen Buch sind teilweise sehr bedrückend. Wie schaffen Sie es als Wissenschaftlerin, die Neutralität zu bewahren?

Als Europäische Ethnologinnen arbeiten wir mit Fallstudien und sind eng bei den Interviewten. Da ist es oft sehr schwer, sich wieder in die Distanz zu bewegen. Wir haben die Frauen und wie sich ihre Geschichten verändert haben, teilweise über Jahre verfolgt und haben sie mehrfach besucht. Je tiefer wir in die Fälle eingestiegen sind, desto mehr ist auch bei uns fast eine Hoffnungslosigkeit entstanden. Ihre Verzweiflung und ihre Wut hat sich selbstverständlich auf uns ausgewirkt. Wir haben gesehen, wie diese Frauen hochgradig aktiv sind, um ihre Misere aus eigenen Kräften zu bewältigen, aber strukturell von Gesellschaft und Politik keinerlei Wahrnehmung hatten.

Was heißt das konkret?

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„Ständig eine neue Sau durchs Dorf“

Michaela Rosenberger, Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), über die drohenden Schließungen und Kündigungen bei Nestlé und was die NGG dagegen tun will

Nestlé will Stellen in Deutschland streichen, weil man den Konzern nach dem Markt ausrichten und zukunftsfähig machen will. So heißt es in Unternehmersprech. Wie stellt sich die Situation aus Sicht der NGG dar?
Wir glauben, dass das Problem ein bisschen tiefer geht: Im vergangenen Jahr ist bei Nestlé mit Daniel Loeb ein Finanzinverstor eingestiegen, und seitdem ticken die Uhren im Konzern anders. Nestlé stellt im Prinzip Produkte infrage und überlegt sich „Was passt noch in unser Portfolio und was nicht.“ Daraus resultiert, dass man sich von bestimmten Bereichen trennen müsse. Beispielsweise soll das Caro-Kaffee-Werk in Ludwigsburg zum Jahresende geschlossen werden. Das muss man sich mal vorstellen! Im Juni erfahren die Beschäftigten, dass sie Ende des Jahres ihren Job verlieren werden.
Das Besondere an Ludwigsburg ist, dass das Werk auf einem attraktiven Grundstück steht. Caro-Kaffee wird es weiter geben, wird aber künftig in einem schon bestehenden Werk in Portugal für Deutschland mitproduziert.

Michaela Rosenberger, Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten
Foto: NGG

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“Auf dem Auge sind wir manchmal blind”

Sandra Goldschmidt ist seit drei Jahren stellevertretende ver.di-Landesbezirksleiterin in Hamburg. Anlässlich des Internationalen Tages gegen Homophobie sprach ich mit ihr am Rande des DGB-Bundeskongresses in Berlin.

Jörg Meyer: Der Bundeskongress hat den Antrag von ver.di auf Gründung eines LGBTI-Arbeitskreises auf Bundesebene nicht angenommen, sondern als „Material an den Vorstand“ beschlossen. Das heißt, es passiert erst einmal nichts, oder? Wie enttäuscht sind sie darüber?
Sandra Goldschmidt: Sicherlich hätte ich mir die echte Annahme gewünscht, aber meine Enttäuschung hält sich in Grenzen. Nach der spannenden Diskussion heute auf dem Kongress denke ich, dass der DGB-Bundesvorstand nicht daran vorbei kommt, den Arbeitskreis einzusetzen.

Sandra Goldschmidt, ver.di-Vize in Hamburg       Foto: Kay Herschelmann

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Für Gestaltung der Digitalisierung – gegen Zukunftsängste

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach spricht im Interview über die Forderungen des DGB zur Neugestaltung des Arbeitsmarktes und den Sozialstaat 4.0. Es geht um Beteiligung und individuelle Wahlmöglichkeiten und warum die nur kollektiv durchgesetzt werden können.

Annelie Bundesbach, DGB-Vorstandsmitglied beim Bundeskongress in Berlin
Foto: jme

Jörg Meyer: Die Beschäftigten sollen sich ständig an Umbauten beteiligen – bei Sparmaßnahmen, bei Mehrarbeit, bei Flexibilität…
Annelie Buntenbach: Beteiligung ist extrem wichtig, aber auch ein Begriff, den die Arbeitgeber in der aktuellen Transformationsdebatte gerne benutzen. Ihnen geht es aber oft nicht um wirkliche Mitsprache und Mitgestaltung durch die Beschäftigten. Echte Beteiligung braucht die Macht der Verhandlung durch betriebliche Mitbestimmungsrechte. Ein echtes Miteinander ist eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Transformation des Arbeitsmarktes. Aber an dieser Stelle verweigern sich die Arbeitgeber noch oft.

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Interview mit Erika Ritter zu Zalando

»Das braucht seine Zeit«

Ver.di könnte bei Onlinehändler Zalando erstmals zu Tarifverhandlungen aufrufen

Zalando will 2000 neue Jobs in Berlin schaffen. Was ist daran erfreulich?
Es ist grundsätzlich nicht falsch, wenn neue Jobs entstehen. Wir müssen jetzt gucken, was das für Jobs sind, zu welchen Bedingungen die Menschen da arbeiten und was sie verdienen.

Und wie weit ist ver.di im Unternehmen Zalando?
Wir organisieren derzeit das Lager in Brieselang und kommen gut voran.
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»Nur einen Ehegatten von Armut entfernt«

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach über Rente, Frauen und das Arbeiten im Kollektiv

Sie waren Bundestagsabgeordnete für die Grünen, Abteilungsleiterin der Gewerkschaft IG BAU und sind heute DGB-Vorstandsmitglied. Was war denn ihre erste Gewerkschaft?
Das war ab 1978 die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, eine der ver.di-Gründungsorganisationen. Ich hatte einen studentischen Hilfskraftjob an der Geschichtsfakultät der Uni Bielefeld. Für mich war immer klar, dass die Gewerkschaft ein Ort ist, an dem Solidarität organisiert wird und Leute sich zusammenschließen, damit sie nicht gegeneinander ausgespielt werden. Deshalb war der Eintritt für mich keine Frage. „»Nur einen Ehegatten von Armut entfernt«“ weiterlesen