Michaela Rosenberger, Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), über die drohenden Schließungen und Kündigungen bei Nestlé und was die NGG dagegen tun will
Nestlé will Stellen in Deutschland streichen, weil man den Konzern nach dem Markt ausrichten und zukunftsfähig machen will. So heißt es in Unternehmersprech. Wie stellt sich die Situation aus Sicht der NGG dar?
Wir glauben, dass das Problem ein bisschen tiefer geht: Im vergangenen Jahr ist bei Nestlé mit Daniel Loeb ein Finanzinverstor eingestiegen, und seitdem ticken die Uhren im Konzern anders. Nestlé stellt im Prinzip Produkte infrage und überlegt sich „Was passt noch in unser Portfolio und was nicht.“ Daraus resultiert, dass man sich von bestimmten Bereichen trennen müsse. Beispielsweise soll das Caro-Kaffee-Werk in Ludwigsburg zum Jahresende geschlossen werden. Das muss man sich mal vorstellen! Im Juni erfahren die Beschäftigten, dass sie Ende des Jahres ihren Job verlieren werden.
Das Besondere an Ludwigsburg ist, dass das Werk auf einem attraktiven Grundstück steht. Caro-Kaffee wird es weiter geben, wird aber künftig in einem schon bestehenden Werk in Portugal für Deutschland mitproduziert.
Was ist das neue an dieser Entwicklung?
Jahrzehnte lang war unsere Politik, mit Nestlé eng zusammen zu arbeiten. Wir sind im Aufsichtsrat vertreten, es gibt Ausschüsse, in denen wir mitarbeiten. Wir haben versucht, das sozialpartnerschaftliche Verhältnis zu pflegen, auch zum Schutz der Beschäftigten. Und jetzt müssen wir feststellen, dass Nestlé diese Sozialpartnerschaft einseitig gekündigt hat. Das bedeutet für uns, dass wir unsere bisherige Zurückhaltung aufgeben werden.
Was ist die Konzernstrategie hinter diesen Maßnahmen?
Das ist doch das Problem! Es lässt sich keine Strategie erkennen. Wir wissen nicht, wohin der Weg gehen soll. Zum Beispiel spricht die Vorstandsvorsitzende von Nestlé Deutschland, Béatrice Guillaume-Grabisch, von „auf die Zukunft gerichteten notwendigen Veränderungsmaßnahmen“. Das teilen wir so nicht. Es ist ja nicht so, dass Caro-Kaffee in Deutschland Absatzprobleme hätte. Dann läge eine Notwendigkeit vor. Die Frage ist vielmehr, wie kann es sein, dass ein Produkt, das so gut in diese Zeit passt, nicht so vermarktet wird, dass es entsprechend erfolgreich wird. Oder wenn es heißt, bestimmte Produktionslinien seien unrentabel, dann muss man sich eben kümmern, damit diese Linien wieder rentabel werden. Bei dem, was gerade passiert, scheint aber die einzige Strategie zu sein, die Rendite zu steigern. Und das auf sage und schreibe 18,5 Prozent. Das ist reine Gier und ein Skandal.
Beim Tiefkühlwarenhersteller Fricopan in Sachsen-Anhalt haben wir 2016 beobachten können, dass ein Werk mit Subventionen aufgebaut und danach wenig investiert wird. Nach 20 Jahren ist das Werk veraltet, wird unrentabel. Fazit: Das Unternehmen baut die Zelte ab. zieht ein paar Dutzend Kilometer weiter, um im nächsten Bundesland Subventionen abzugreifen. Ist das bei Nestlé aktuell ähnlich?
Nein. Die Werke werden in Schuss gehalten und nicht heruntergewirtschaftet. Es geht Nestlé nicht um Subventionen. Das haben die auch nicht nötig. Wir sprechen hier über den größten Lebensmittelkonzern der Welt. Und er schreibt schwarze Zahlen. Im vergangenen Jahr verdiente Nestlé unterm Strich 7,2 Milliarden Schweizer Franken. Das sind umgerechnet 6,5 Milliarden Euro. Dennoch hat der Investor Daniel Loeb klare Vorstellungen davon, welche Bereiche abgestoßen werden müssen.
Die da wären?
Loeb ist beispielsweise der Ansicht, dass Nestlé sich von „wenig gesunden Aktivitäten“ wie seiner Fleisch- oder Süßwarensparte trennen muss. Bereiche hingegen, die er in Zukunft ausbauen will, sind Tiernahrung, Wasser und Kaffee. Da macht er klare Vorgaben.
Was uns wirklich nervt ist, dass ständig eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird. Mit den jetzt angekündigten Maßnahmen haben wir schon genug zu tun. Doch dann taucht das Gerücht auf, dass auch die Wurstproduktion auf dem Prüfstand stehe oder dass einige Produktionslinien von Wagner-Pizza von Nonnenweiler nach Italien verlagert werden sollen.
Insgesamt riskiert Nestlé durch diese Politik, dass gute Arbeitskräfte abwandern und sich lieber einen sicheren Job suchen als unter den unsicherer werdenden Bedingungen weiter bei Nestlé zu arbeiten. Das kann auch nicht im Unternehmensinteresse liegen.
Loeb ist ein reiner Finanzmensch und hat mit Lebensmitteln nicht so viel zu tun, oder?
Ja, Loeb ist mit seinem Hedgefonds Third Point ein reiner Finanzmensch. Nestlé ist ihm herzlich egal. Es könnte da auch um irgendwelche anderen Unternehmen gehen. Aber: Lebensmittel sind Mittel zum Leben – damit macht man keine Finanzgeschäfte. Nestlé hat uns auch schon mitgeteilt, dass die geplanten Schließungen und Verlagerungen noch nicht reichen. Sie wollen unsere bestehenden Tarifverträge angreifen.
Wie sieht das konkret aus?
Man erwartet, dass wir die Verträge auf ein Niveau von vor vier bis sechs Jahren absenken. Sicher, mit Strukturveränderungen und Unternehmensverlagerungen haben wir es immer zu tun. Das macht nie Spaß, ist aber unser tägliches Geschäft. Dass ein Arbeitgeber jetzt sagt: „Und dann müssen wir uns auch noch die Tarifverträge angucken.“ Das kennen wir so nicht. Mit den sowieso schon geplanten Maßnahmen, die Kündigungen mit sich bringen und schlimm genug sind, sollen jetzt die Beschäftigten die von Loeb erwarteten Renditeziele durch Absenkung ihrer Löhne finanzieren. Das kommt schon einer Kriegserklärung gleich.
Hast Du konkrete Beispiele von betroffenen Betrieben?
Mehrere. Bei Maggi in Singen war das eine konkrete Forderung in der aktuellen Tarifrunde. Während wir verhandelten, forderte Nestlé, dass wir die Tarifverträge verschlechtern sollen. Konkret wollten sie von uns zwei Jahre Nullrunden bei den Einkommen, die Absenkung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld und eine Stunde Mehrarbeit pro Woche. Das ist ein starkes Stück. Im Ergebnis hatten wir dann eine unglaubliche hohe Beteiligung beim Warnstreik Mitte September, denn das lassen wir uns nicht bieten. Den Kolleginnen und Kollegen ist es gelungen, die Forderung abzuwehren und einen guten Tarifabschluss hinzukriegen.
Ein anderes Beispiel ist das Maggi-Werk in Lüdinghausen bei Dortmund. Dort sollen 95 von knapp 400 Arbeitsplätzen gestrichen werden. Im Milchwerk Weiding soll das Labor geschlossen werden. Auch der Standort Biessenhofen, die Produktion von Cerealien, ist von Kündigungen betroffen.
Sind nach den Ankündigungen schon Beschäftigte nach Hause geschickt worden?
Nein, noch nicht, aber in Weiding steht das unmittelbar bevor. Deshalb machen wir auch dort besonders Druck, um einen Sozialplan, in dem wir die Höhe der Abfindungen bei Kündigungen, Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen oder eine Auffanggesellschaft festgeschrieben sehen wollen, abzuschließen. Wir wollen erreichen, dass es für alle Standorte einen einheitlichen Sozialplan gibt. Wir wollen keine unterschiedlichen Sozialpläne innerhalb des Konzerns in Deutschland. Wir wollen Nestlé beweisen, dass wir uns nicht spalten lassen.
Gibt es einen Eurobetriebsrat bei Nestlé?
Ja, gibt es. Wir beginnen gerade, die europaweite Solidarität zu organisieren. Der Eurobetriebsrat spielt eine wichtige Rolle, und die Kolleginnen und Kollegen arbeiten in dem Gremium gut zusammen. Außerdem arbeiten wir mit unserer internationalen Gewerkschaft für Lebensmittelarbeiter IUL, die in Genf sitzt, eng zusammen.
Was plant ihr konkret für die nächste Zeit? Steht Nestlé Protest ins Haus?
Sicher. Der Protest „Mensch vor Marge“ läuft schon und er läuft gut. Nestlé gehört öffentlich kritisiert – und das lautstark. So geschehen am 26. September als der Konzernchef Ulf Mark in der deutschen Nestlé-Zentrale in Frankfurt am Main war. Dort protestierten 70 Beschäftigte. Und wir fahren am 2. Oktober mit vielen Bussen gemeinsam zur Konzernzentrale nach Vevey und protestieren dort gemeinsam mit unseren Schweizer Kolleginnen und Kollegen. Erwartet werden rund 400 Teilnehmende.