Der Herrenwitz ist nicht mehr en vogue

Monika Brandl, Vorsitzende des ver.di-Gewerkschaftsrates, spricht über sexistische Klischees, Gleichstellungspolitik und erzwungene Teilzeit

Von Jörg Meyer

Als die Frauenquote für Dax-Unternehmen Anfang des Jahres eingeführt wurde, wurde sie scharf kritisiert, weil sie unter anderem eine zu geringe Reichweite hat. Was hat sich im Telekom-Aufsichtsrat geändert?
Auf der Arbeitnehmerbank sind wir schon lange fünf Frauen und fünf Männer. Auf der Anteilseignerseite hatten wir lange Zeit keine Frau, mittlerweile sind es drei, was ich sehr gut finde.

Eine andere Kritik ist: Dass Frauen angeblich für eine angenehmere Stimmung sorgen, sei auch wieder nur ein sexistisches Klischee?


Dafür halte ich es nicht. Ich glaube, dass wir kommunikativer sind und von daher mehr das Gespräch suchen. Das ist für Frauen wichtiger als wer in der Hierarchie wo steht. Ich möchte miteinander reden, möchte den Menschen kennenlernen, möchte mich austauschen. Wir haben Themen, bei denen wir heiß diskutieren. Aber auf einer zugewandten Ebene. Ich denke schon, dass das auch etwas damit zu tun hat, dass der Aufsichtsrat gemischter ist.

Alles gut also?
Natürlich nicht! Es gibt immer noch das Vorurteil, »Frauen hätten nicht die geistige Befähigung, in einen Aufsichtsrat zu gehen«, wie das »Handelsblatt« in einem denkwürdigen Artikel schrieb. Ich habe das Abo darauf gekündigt. Ginge es danach, müsste man viele der Männer austauschen.

Ärgern Sie sich noch über den Herrenwitz oder lächeln Sie darüber nur noch müde?
Das ist mir nie egal. Wenn ich derlei Verhalten mitbekomme, spreche ich es sofort an. Wer so etwas von sich gibt, muss das Echo vertragen. Aber es ist viel weniger geworden: Wer sich frauenfeindlich oder herabwürdigend äußert, setzt sich ins Abseits. Das ist heutzutage nicht mehr en vogue.

Sie machen seit Jahrzehnten aktiv Frauenpolitik. Wie fing das an?
Ich habe mich, als ich um die 20 Jahre alt war, nicht für Frauenpolitik interessiert. Ich habe eher gesagt: Jede Frau kann alles machen, wenn sie das will. Da gibt es keine Einschränkung. Und als ich dann mit 26 Jahren meine Tochter bekommen habe und bis zu ihrem dritten Lebensjahr Teilzeit gearbeitet habe, bis ich sie in den Kindergarten bringen konnte, habe ich gemerkt, dass ganz schön Unterschiede gemacht werden. Frauen in Teilzeit werden benachteiligt, es gibt nicht mehr die gleichen Möglichkeiten. Ich empfand es als eine Ungerechtigkeit, dass frau, nur weil sie ein Kind hat, ausgegrenzt wird. Das hat mich zu der Überzeugung gebracht, dass sich etwas ändern muss. So habe ich mit der Frauenarbeit angefangen.

Das waren die 1970er Jahre und Ihre Arbeitsstelle das Fernmeldeamt Regensburg?
Genau. Da habe ich einen Frauenstammtisch organisiert, was zur Gründung unserer gewerkschaftlichen Frauengruppe geführt hat. Ich bin dann damals die erste Ortsfrauenausschussvorsitzende der Deutschen Postgewerkschaft in Regensburg geworden. Damit war ich Teil des Bezirks- und des Bundesfrauenausschusses, in dem gestandene Frauen saßen, bei denen ich mit meinen Meinungen auch angeeckt bin. Aber wir haben uns zusammengefunden. Wir wollten ja in dieselbe Richtung. Auch damals haben wir gesagt, ohne Quote geht es nicht. Das Streiten dafür hat mich nun drei Viertel meines Leben begleitet. Es ist für mich auch etwas Besonderes, dass mich der ver.di-Bundesfrauenrat in den Gewerkschaftsrat entsandt hat, der mich zur Vorsitzenden gewählt hat.

Über dieses Interview

Das Interview mit Monika Brandl habe ich im Herbst 2016 geführt. Entsprechend sind Aussagen wie “…als Anfang des Jahres die Frauenquote in Dax-Unternehmen eingeführt wurde…” zu lesen. Es erschien zuerst in “neues deutschland” und später in meinem Buch “Arbeiten & Feminismus” im VSA: Verlag. Das Buch enthält ein Dutzend  biografische Interviews hauptsächlich mit GewerkschafterInnen, die erzählt haben, wie sie zum Feminismus gekommen sind und warum sie das Thema heute so wichtig finden wie vor 30 Jahren.

Am Tag dieser Neu-Veröffentlichung 2019 wurde Monika Brandl auf dem fünften Bundeskongress der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) als langjährige Voristzende des Gewerkschaftsrates in den Ruhestand verabschiedet. Sie war die ehrenamtliche Vorsitzende von ver.di und damit die disziplinarische Chefin von Frank Bsirske. Der Gewerkschaftsrat ist das höchste beschlussfassende Gremium der Gewerkschaft zwischen den Bundeskongressen.

Das Foto zeigt Monika Brandl bei ihrer Verabschiedung am 25. September 2019 in Leipzig.

… im Jahr 2007. Mitglied sind Sie seit ver.di-Gründung 2001.
Genau. Wir haben damals wie die Löwinnen gekämpft, um unsere Quote, die wir 1998 in der Postgewerkschaft endlich durchgesetzt hatten, zu erhalten. So hat ver.di von Anfang an die Quote gehabt und Stück für Stück umgesetzt. Heute sind von 14 Vorstandsmitgliedern acht Frauen. Es gibt immer wieder mal Diskussionen von Einzelnen, dass man die Frauenquote jetzt abschaffen könne, weil das Ziel erreicht sei. Nein, kann man nicht! Wenn man die Quote abschafft, geht es sofort wieder in die andere Richtung.

Wie war Ihr politischer Werdegang?
Ich habe mich ganz früh in Richtung der Grünen engagiert. Das ist auch heute noch so. In der Friedensbewegung Ende der 1970er haben wir gegen den NATO-Doppelbeschluss protestiert. Wir haben gekämpft – und nicht gewonnen, aber das hat uns noch stärker zusammengebracht. In den 1980er Jahren haben wir uns gegen die WAA (Wiederaufbereitungsanlage) in Wackersdorf organisiert und standen Wochenende für Wochenende am Bauzaun, um gegen diesen Wahnsinn zu demonstrieren – so gesund und fit waren wir selten, um vier Uhr früh auf das WAA-Gelände, um noch vor den Räumungskommandos da zu sein im Hüttendorf. Das war eine wilde Zeit.

Woher kommt Ihre politische Einstellung? Aus einem emanzipierten Elternhaus?
Ich komme aus einem Frauenhaushalt. Meine Mutter hat sich scheiden lassen. Meine Großmutter, meine Mutter und ich haben in einer häuslichen Gemeinschaft gelebt. Meine Großmutter ist mit 36 Witwe geworden, mit drei kleinen Kindern, ohne Berufsausbildung. Sie hat immer die Meinung vertreten, dass ihre Töchter etwas lernen müssen, mit dem sie für sich selbst sorgen können. Das war zu Hause der Grundton. Meine Mutter hat im öffentlichen Dienst gearbeitet, war in der Gewerkschaft und stellvertretende Personalratsvorsitzende. Es war für mich klar, auch in die Gewerkschaft einzutreten.

Im Jahr 1996 wurden Sie eine der ersten Gleichstellungsbeauftragten bei der Telekom.
Genau. Das war mein Traumjob.

Wie kam es dazu?
Ganz einfach: Mitte der 1990er Jahre war die Telekom noch eine Behörde. Dann kam das Gesetz, nach dem in Behörden Gleichstellungsbeauftragte eingerichtet werden mussten. Als der Börsengang 1996 folgte, hatten wir als erstes Dax-Unternehmen, Gleichstellungsbeauftragte.

Gelernt haben Sie Fernmeldetechnikerin, oder? Damals kein Frauenjob …
Nein, ich bin keine Technikerin, ich wurde für den nicht-technischen Fernmeldedienst eingestellt. Der Querschnitt im Unternehmen ist weiblich, die Technik männlich. Das war damals noch manifester. Ich habe mich als Gleichstellungsbeauftragte mit den Geschäftsleitungen von meinen sechs zu betreuenden Niederlassungen zusammengesetzt und gesagt, wir wollen doch sicher gemeinsam erfolgreich sein. Ich habe angeboten, Zielvereinbarungen zu machen, die wir innerhalb eines Jahres umsetzen – und so können sich die Geschäftsleitungen und die Gleichstellung über einen Fortschritt freuen. So bekamen wir den ersten Frauenförderplan.

Der Bosse Eitelkeit genutzt …
Ich habe mir gedacht, am besten kehrt man die Treppe von oben. Die Ziele umfassten mehr Frauen in Führungspositionen, mehr Frauen in der Technik, bessere Aufstiegsmöglichkeiten. So konnten wir weiter an unseren Projekten arbeiten. Ich habe dann in den Niederlassungen Frauenversammlungen organisiert. Dort haben wir auch Seminare und Kommunikationstrainings zum Reden zwischen Männern und Frauen angeboten. Mit den Seminaren haben wir auch den wenigen Frauen in Führungspositionen, die es damals gab, den Rücken gestärkt. Das waren die Anfänge der Gleichstellungsarbeit.

Sie sind Ihr gesamtes Berufsleben bei der Post und der Telekom …
Ende der 1990er Jahre hieß es, Gleichstellungsbeauftragte brauchen wir nicht mehr. Ich hatte mich schon anderswo beworben und die Zusage bekommen. Meine Aufgabe bei der Telekom neben der Arbeit war die Gewerkschaftsarbeit, und unser damaliger Vorsitzender hat mich gefragt, ob ich für den Gesamtbetriebsrat kandidieren würde. Nach kurzer Bedenkzeit und Rücksprache mit meiner Familie habe ich zugesagt – und bin bei der Telekom geblieben.

Sie sind 63 Jahre alt. Was sind bis zum Ruhestand Ihre Ziele?
Innerhalb der Telekom die Frauenquote weiter voranzutreiben, auch im Vorstand.

Die Probleme ähneln sich über die Jahrzehnte.
Sicher. Meine Tochter hat ein Kind und arbeitet in Teilzeit. Die Tagesmutter kostet ganz schön viel, aber einen Krippenplatz kriegt man nicht so einfach. Ich bin gespannt, ob nächstes Jahr, wenn der Kleine drei ist und Anspruch auf einen Kindergartenplatz hat, es diesen Platz auch gibt. Diese Sachen – Gleichstellung, gleiche Bezahlung, Fortkommen, Recht auf Kinderbetreuung – ziehen sich seit 200 Jahren durch die Geschichte. Es kommt immer mal in einem anderen Kleidchen daher, das Problem bleibt das gleiche. Und das treibt mich um.

Was bedeutet in dem Kontext die Digitalisierung für Frauen auf dem Arbeitsmarkt oder ist das jenseits von Geschlecht?
Die Gefahr ist, dass Frauen einmal mehr in die Teilzeitfalle laufen oder in noch mehr prekäre Arbeit. Ein Großteil der Arbeit wird künftig im Netz stattfinden, der Arbeitsplatz als Cloudworkerin oder Crowdworkerin wird das Zuhause, das Café oder irgendwo sein. Ich befürchte, das wird ein großer Bereich, in dem sich Frauen wiederfinden, weil es sonst nichts für sie gibt.

Warum das?
Weil Frauen oft noch genauso gehandicapt sind mit Kinderbetreuung wie sie es gestern und vorgestern waren.

Befindet sich der Feminismus heute im Stillstand oder gar auf dem Rückzug?
Der Feminismus kommt gerade eher wieder, weil junge Frauen, die so gut ausgebildet sind wie noch nie, merken, dass sie wieder die gläserne Decke über sich haben. Sie werden immer mehr in Projekte geschoben, die Jahr um Jahr und Quartal um Quartal verlängert werden. Die ewigen Befristungen, mit denen du dein Leben nicht mehr planen kannst, betreffen auch junge Männer, aber die Frauen stärker.
Von daher müssen wir weiter kämpfen, damit das nicht wieder ein Schritt rückwärts wird. An der Stelle sage ich: Wehret den Anfängen! Deshalb müssen wir wieder eine Debatte darüber führen, wo wir gesellschaftlich hin wollen. Derzeit werden diese Fragen mit einfachsten Antworten von rechts besetzt. Das beunruhigt mich zutiefst. Wir als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter müssen die Diskussion mitführen, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen. In einem geeinten Europa, aber anders – in einem Europa mit sozialem Gesicht, ohne Fremdenfeindlichkeit, ohne Angst, mit sicheren, gut bezahlten Arbeitsplätzen, das ist die Zukunft!