Für Gestaltung der Digitalisierung – gegen Zukunftsängste

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach spricht im Interview über die Forderungen des DGB zur Neugestaltung des Arbeitsmarktes und den Sozialstaat 4.0. Es geht um Beteiligung und individuelle Wahlmöglichkeiten und warum die nur kollektiv durchgesetzt werden können.

Annelie Bundesbach, DGB-Vorstandsmitglied beim Bundeskongress in Berlin
Foto: jme

Jörg Meyer: Die Beschäftigten sollen sich ständig an Umbauten beteiligen – bei Sparmaßnahmen, bei Mehrarbeit, bei Flexibilität…
Annelie Buntenbach: Beteiligung ist extrem wichtig, aber auch ein Begriff, den die Arbeitgeber in der aktuellen Transformationsdebatte gerne benutzen. Ihnen geht es aber oft nicht um wirkliche Mitsprache und Mitgestaltung durch die Beschäftigten. Echte Beteiligung braucht die Macht der Verhandlung durch betriebliche Mitbestimmungsrechte. Ein echtes Miteinander ist eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Transformation des Arbeitsmarktes. Aber an dieser Stelle verweigern sich die Arbeitgeber noch oft.

Inwiefern?
Die Arbeitgeberverbände versuchen doch ganz offen, im Zuge der Digitalisierung die Mitbestimmung auszuhebeln und die Rechte von abhängig Beschäftigten zu schleifen. Das zeigen insbesondere die Angriffe zur Deregulierung des Arbeitszeitgesetzes oder die Tatsache, dass der gesamte Bereich des Crowdwork kaum geregelt ist. Arbeitgeber nutzen vermehrt Instrumente wie zeitlich instabile und prekäre Arbeitsverhältnisse wie Befristungen, Werkverträge oder digitales Outsourcing.

Was heißt eigentlich Leitantrag?
Der Antrag B001 legt die Leitlinie fest, der die anderen Anträge in dem Bereich folgen. Mit diesem Antrag setzen wir vor allem die Botschaft, dass es neue Initiativen zur Befähigung und Beteiligung der Beschäftigten braucht, um gut durch den Wandel der Arbeitswelt zu kommen Dazu machen wir konkrete Vorschläge.

In einem der Folgeanträge fordert die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, das Arbeitsgesetz dürfe nicht angetastet werden.
Das ist auch richtig. Wir fordern das auch im Leitantrag. Keine Eingriffe ins Arbeitszeitgesetz und keine Experimente mit dem Schutzrahmen durch das Arbeitszeitgesetz. Das wären gefährliche Experimente mit der Gesundheit der Menschen, mit der Vereinbarkeit und mit dem Zusammenhalt von Familien.

Was hat sich der DGB für die nächsten Jahre noch vorgenommen?
Wir stehen am Anfang eines riesigen Umbruchs durch die Digitalisierung. Wir wollen diesen Wandel offensiv gestalten. Die Gewerkschaften haben bereits wegweisende Tarifverträge abgeschlossen. Wir brauchen das aber möglichst flächendeckend. Dazu wollen wir die Tarifbindung stärken und brauchen dafür mehr politische Unterstützung. Wir wollen auch einen Sozialstaat 4.0, der wirksamer vor Lebensrisiken schützt und die Menschen gleichzeitig befähigt, im Wandel der Arbeitswelt mithalten zu können. Das bedeutet, wir brauchen konkrete Angebote – vor allem Zeit und Geld – für Beschäftigte für die berufliche Weiterbildung. So kann den Zukunftssorgen am besten begegnet werden. Dafür braucht es natürlich auch eine grundlegende Reform von Hartz IV, damit auch Langzeitarbeitslose endlich bessere Chancen bekommen und eine De-Qualifizierung vermieden wird. Insgesamt wollen wir einen Sozialstaat der Zukunft, der den veränderten Berufsbiografien und Lebensläufen Rechnung trägt. Letztlich ist das Ziel eine präventive Sozialpolitik zur Vermeidung von Erwerbslosigkeit, Armut und Altersarmut.

Die letzten Tarifergebnisse bei der Bahn, in der Chemie- und der Metall- und Elektroindustrie waren auch Resultate von Befragungen, Studien und vielen Diskussionen. Ergebnisse waren, dass die Beschäftigten lieber einen freien Tag mehr im Monat haben als ein paar Prozent mehr Entgelt. Die Gewerkschaften setzen auf individuelle Wahlmöglichkeiten zur Arbeitszeit, den individuellen Anspruch auf Weiterbildung, die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben. Warum soll ich mich denn noch kollektiv in einer Gewerkschaft engagieren, wenn alles individuell wählbar sein soll?
Weil es ohne kollektiv erstrittene Lösungen durch Tarifverträge oft schier unmöglich ist, individuelle Wahlmöglichkeiten durchzusetzen. Wir brauchen aber diese neuen Wahlrechte für alle, das würde eine positive Dynamik auslösen. Genauso brauchen wir effektive Schutzrechte für alle, wie beispielsweise durch das Arbeitszeitgesetz. Wir wollen neue Rechtsansprüche zum Beispiel für die Selbstbestimmung von Lage und Dauer der Arbeitszeit. Wir wollen auch mehr öffentliche finanzielle Unterstützung für berufliche Weiterbildung, um zum Beispiel Tarifverträge für die individuelle berufliche Weiterentwicklung oder Neuorientierung durch eine neue Bildungsteilzeit zu fördern. Die Umsetzung der gesetzlichen Regelungen geht am besten mit einer hohen Tarifbindung und Mitbestimmung in den Betrieben. Und um Tarifverträge durchzusetzen, brauchen wir starke Gewerkschaften, daran hat sich doch nichts geändert. Wir fordern als DGB den Gesetzgeber zugleich auf, noch in der laufenden Legislaturperiode den rechtlichen Rahmen für eine nachhaltige Stärkung der sozialen Sicherung zu schaffen. Es geht nicht zuletzt darum, Zukunftsängste abzubauen.

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