Interview mit Erika Ritter zu Zalando

»Das braucht seine Zeit«

Ver.di könnte bei Onlinehändler Zalando erstmals zu Tarifverhandlungen aufrufen

Zalando will 2000 neue Jobs in Berlin schaffen. Was ist daran erfreulich?
Es ist grundsätzlich nicht falsch, wenn neue Jobs entstehen. Wir müssen jetzt gucken, was das für Jobs sind, zu welchen Bedingungen die Menschen da arbeiten und was sie verdienen.

Und wie weit ist ver.di im Unternehmen Zalando?
Wir organisieren derzeit das Lager in Brieselang und kommen gut voran.

Heißt konkret?
Wir werden wahrscheinlich in den nächsten Wochen die 50-Prozent-Marke bei den unbefristeten Beschäftigungen knacken. Wenn wir 50 Prozent Organisationsgrad erreicht haben, gehen wir in die tarifliche Auseinandersetzung. Es gibt in Brieselang einen Betriebsrat, aber keinen Tarifvertrag. Zalando hält es wie Amazon und zahlt nach unserer Kenntnis Gehälter orientiert an den unteren Entgeltgruppen der Logistikbranche. Sie denken, weil sie keinen stationären Einzelhandel pflegen, müssen sie sich nicht an die Regeln des Handels halten. Aber Zalando ist keine Logistik. Zalando ist eindeutig ein Einzelhändler, denn sie verkaufen ihre Ware an den Endkunden.

Ver.di hat den Streit mit Amazon als zentral für den Einzelhandel bezeichnet. Gilt das auch für Zalando?
Ja und nein. Zalando ist insoweit vergleichbar, als dass sie ein vergleichbares Geschäftsmodell machen. Aber sie sind von der Unternehmenskultur ganz anders. Amazon ist ein US-Unternehmen; die hauen auf Gewerkschaften und Betriebsräte, wo es geht. Das traut sich Zalando nicht. Haupteigentümer ist die schwedische Risikokapital-Beteiligungsgesellschaft Kinnevik und es gibt viel Eigentum in Deutschland, beispielsweise gehört ein Teil zu Tengelmann. Es gibt also einen Ethos, den sie nicht ohne weiteres über Bord werfen können.

Was für einen Ethos meinen Sie?
Die Zalando ist kein Haudrauf. Sie wissen, dass Sozialpartnerschaft sich auch rechnen kann.

… vergleichbar, weil sie Betriebsräte zulassen, aber Tarifverträge nicht.
Dass es bislang keinen Tarifvertrag gibt, hat ja auch einen Grund. Wir sind gerade erst dabei, die Voraussetzungen für Tarifverhandlungen zu schaffen. Dann wird sich in zeigen, ob Zalando genauso hartleibig ist wie die Amazonier.

Es geht bisher nur um Brieselang?
Ja, wir machen das für den Landesfachbereich Handel in Berlin und Brandenburg – also den Standort in Brieselang. Wir haben in Berlin noch viele Unternehmen, die zu Zalando gehören, in denen wir aber noch nicht so weit sind. Da hoffen wir, dass sich das gegenseitig ein bisschen befruchtet. Wir haben beispielsweise den ersten Betriebsrat im internationalen Call-Center in Berlin. Die anderen deutschsprachigen Call-Center haben noch keine Betriebsräte, auch nicht die Outlets. Da ist noch viel unbearbeitet und wir gehen sukzessive rein.

Wie lange läuft das Erschließungsprojekt bei Zalando schon?
In Brieselang seit fast zwei Jahren. Man darf nicht erwarten, dass Rom an einem Tag erbaut wird, das braucht Zeit. Und was wir auch feststellen, ist, dass wir ganz unterschiedliche Beschäftigte haben, auf die wir unterschiedlich zugehen müssen.

Zum Beispiel?
Im Lager finden wir eher die klassischen Belegschaftsstrukturen. Die Beschäftigten im Campus sind ein bisschen anders, arbeiten auch ganz anders. Die sind mit ihren Laptops unterwegs, stöpseln sich ein, wo sie gehen und stehen, haben keine festen Strukturen, sondern arbeiten digital und mobil. Was Digitalisierung angeht, ist Zalando ziemlich weit.

Nach fast zwei Jahren über erste Tarifverhandlungen zu sprechen, ist deutlich schneller als bei Amazon …
Das ist richtig, bei Amazon sind wir bald zehn Jahre dabei. Wir brauchen bei derartigen Betrieben immer ein bisschen Vorlauf, aber es ist auch klar, dass wir da dringend ran müssen. Zalando hat jetzt 5000 Beschäftigte in der Region, das ist kein kleiner Betrieb mehr. Und die wachsen weiter – wie der Onlinehandel insgesamt. Die Händler versuchen mit ihren Geschäftsmodellen, dem stationären Handel Marktanteile abzujagen. Das geht langsam, aber stetig voran. Also sprechen wir von einem wachsenden Geschäftsfeld. Klar ist: Eine Gewerkschaft muss sich darum kümmern.

Besteht sonst die Gefahr, dass ver.di mit dem Einzelhandel eine ganze Branche wegbricht?
Das glaube ich nicht. Wenn man die Größenordnungen betrachtet, liegt der Anteil des Onlinehandels noch immer weit unter zehn Prozent des gesamten Einzelhandels, bezogen auf Beschäftigtenzahlen und Umsätze. Der stationäre Einzelhandel ist deutlich personalintensiver. Das ist ja auch logisch: Dort müssen Filialen mit Personal bestückt werden, während Amazon und Zalando das mit wenigen Standorten und Logistikdienstleistern regeln, die an den Endkunden liefern. Es gibt zwar einen erheblichen Umbruch in der Branche, aber ich sehe im Moment kein Entweder-oder, also dass der stationäre Handel komplett verdrängt werden könnte. Die Kaufgewohnheiten der Menschen spielen eine große Rolle. Sie wollen sehen, was sie kaufen, wollen anfassen und ausprobieren. Und sie haben wenig Vertrauen, was die Internetsicherheit betrifft.

Und wie entwickelt sich das weiter?
Ob der stationäre Handel in der Größenordnung erhalten bleiben wird, wird erst die Zukunft zeigen. Da fehlt mir die Glaskugel für eine genauere Prognose. Es gibt viele Propheten, manche malen das Bild dunkelschwarz, andere sind verhaltener. Es gibt auch gegenläufige Tendenzen. Wir beobachten, dass sich der stationäre Einzelhandel mehr und mehr mit eigenen Onlinemodulen auseinandersetzt. Das werden die auch müssen. Umgekehrt orientiert sich etwa Zalando mit seinen Outlets auch in Richtung stationärer Handel. Insofern denke ich: Vieles wird sich aus unterschiedlichen Richtungen annähern.

Die großen Onlinehändler bauen ihre Lager gezielt in strukturschwachen Regionen mit hoher Erwerbslosigkeit auf die Wiese. So haben sie eine verfügbare Masse von potenziell billigen Arbeitskräften und können auch auf Unterstützung der Lokalpolitik hoffen? Brandenburg und Berlin haben nach Medienberichten von 2014 Zalando insgesamt rund 13 Millionen Euro an Subventionen gegeben.
Brieselang war schon immer ein Logistikstandort. Früher gab es da mal FIEGE Logistik oder das Lager von Karstadt. Die sind da jetzt zwar nicht mehr, aber die Immobilien waren ja noch da da. Und dass sich so eine Gemeinde darum bemüht, die wieder zu vermieten, ist nachvollziehbar. Und so lange dort Arbeitskräftepotenzial da ist, funktioniert es. Wir wissen aber auch, dass in Brieselang Leute aus Berlin auch aus Polen arbeiten. Die Beschäftigten reisen aus einer ziemlichen großen Region zur Schicht an.

Zur Person

Erika Ritter ist Leiterin des Landesfachbereichs Handel bei ver.di Berlin-Brandenburg.

neues-deutschland.de, 13.3.2017, Seite 2