„Das System wurde kaputtgespart. Ganz einfach“

Der Kinder- und Jugendmedizin geht es nicht gut. Alle Tage wieder schlagen seit Jahresbeginn niedergelassene Ärzt:innen in verschiedenen Bundesländern Alarm. Ende vergangenen Jahres warnte die intensivmedizinische Vereinigung (DIVI) davor, dass die Kinderkliniken das Ende ihrer Kapazitäten schon überschritten hätten, und bundesweit herrscht Medikamentenmangel. Mit dem Kinder- und Jugendmedizinier Lothar Müller sprach SoSi-Redakteur Jörg Meyer.

Als niedergelassener Facharzt, der auch lange in Kinderkliniken gearbeitet hat, haben Sie einen breiten Einblick in die aktuelle Situation. Wie schlimm ist es aus Ihrer Sicht als niedergelassener Kinderarzt?

Es ist eine schwierige Gemengelage. Einerseits haben wir das nach wir vor hohe Aufkommen an Atemwegserkrankungen, das unter anderem dadurch verursacht ist, dass sich durch die Maskensituation in den letzten Jahren einiges aufgestaut hatte. Anderseits ist der Pflegepersonalmangel an Kinderkliniken ein wirklich großes Problem – von dem wir in Kinderarztpraxen mittelbar auch betroffen sind. In der Summe sehen wir einen wahnsinnig großen Andrang von Menschen, die Hilfe in Kinderarztpraxen suchen, was vor dem Hintergrund der Mangelsituation immer wieder zu kurzzeitigen Überlastungen der Praxen führt. Wir merken es besonders, wenn wir versuchen, schwerer erkrankte Kinder ins Krankenhaus zu bekommen. 

Wie äußert sich das Letztere konkret?

Wir haben in Berlin gut eineinhalb Dutzend Kinderkliniken, die telefonieren wir dann durch und wissen eigentlich schon vorher, dass die keinen freien Platz haben. Als nächstes versuchen wir die Kinder in Brandenburg unterzubringen, selbst wenn es ihnen mit Blick auf einen anstehenden Transport nicht gut genug geht. Wir erleben da Situationen, die wir uns vor zwei, drei Jahren nicht hätten träumen lassen. 

Was bedeutet, „durch die Maskensitutation hat sich etwas aufgestaut“.

Vor der Pandemie haben alle Kinder und auch die meisten Erwachsenen einmal im Jahr eine regelmäßige Dosis an Atemwegsinfekten bekommen, auch mit den vier Coronaviren, die schon lange zu unserem Leben gehören – das war ein bisschen wie eine jährliche Lebendimpfung. Wenn das jetzt durch das in der Pandemie durchaus notwendige Maskentragen drei Jahre nicht geschehen ist, kann nun alles auf einmal auf das Immunsystem einprasseln. Besonders Kleinkinder können davon stark betroffen sein. 

Und warum hätte man sich die Situation, wie sie jetzt ist, vor wenigen Jahren nicht träumen lassen? In den Kliniken fehlt bekanntermaßen viel Personal, aber hat sich die Situation auch bei den niedergelassenen Kinder- und Jugendärzten so verschlechtert?

Ja. Der Fachkräftemangel durch das Kaputtsparen und die Profitorientierung des Gesundheitssystems betrifft alle Bereiche. Besonders im stationären Bereich ist der Pflegeberuf sehr unattraktiv geworden. Durch den Mangel an Pflegekräften erhöht sich die Arbeitsbelastung des verbliebenen Personals, die Bezahlung ist der Härte des Jobs nicht ansatzweise angemessen und die Wertschätzung steht von einzelnen Klatschaktionen abgesehen auch in keinem Verhältnis. 

Im ambulanten Bereich schlägt sich das infolge nieder, wenn die medizinischen Fachangestellten von den Kliniken abgeworben werden, die händeringend nach Personal suchen, das es nicht mehr gibt. 

Das heißt die Krankenhäuser werben medizinische Fachangestellte ab, die dann als Krankenschwestern arbeiten?

Genau. Die durchschnittliche Krankenschwester in einem Krankenhaus verdient zu wenig, aber im Durchschnitt noch immer mehr als die medizinische Fachangestellte (MFA). Das heißt, Kliniken können das Personal mit MFAs aufstocken, für die das teilweise finanziell attraktiver ist. Und letztlich sinkt dann auch die Zahl der niedergelassenen Ärzte:innen: Zum einen geht die Boomer-Generation in Rente, zweitens wurde in den letzten Jahren zu wenig ausgebildet, und an den Krankenhäusern fehlen die Assistenzärzt:innen. Und letztens wird der Job des niedergelassenen Arztes vor dem Hintergrund auch nicht attraktiver: Kein Personal zu finden, immer mehr Stress und Arbeit als Selbstständiger bei nicht steigender Bezahlung. So kommt eines zum anderen. 

Im Januar haben die Ersatzkassen beschlossen, 49 Millionen Euro zusätzlich für die Versorgung von Kindern mit Atemwegserkrankungen locker zu machen. Hilft das?

Das gilt für das letzte Quartal 2022 und das erste Quartal 2023. Niedergelassene Ärzt:innen bekommen 7,50 Euro zusätzlich pro Kind bis zwölf Jahre. An sich ist das ein richtiger Schritt, aber rechnen Sie alle Arztpraxen in Deutschland dagegen, dann bleibt so viel nicht übrig. Und 7,50 Euro sind es, wenn das Kind einmal zur Behandlung kommt, sich also das erste Mal in meiner Praxis vorstellt. Wenn das gleiche Kind dann noch fünf weitere Termine benötigt, ist das wieder ohne den Zuschlag. Eine substanzielle Verbesserung ist das nicht. 

Viel interessanter ist die Entbudgetierung der ambulanten Kinderärzte, die von Lauterbach in Aussicht gestellt wurde. Die Fallpauschalen (Diagnose related groups; Diagnosegruppen, DRG) sind ein Grundübel in dem ganzen System der stationären Versorgung. Dass sie gleichermaßen für Erwachsene und Kinder gelten, verschlechtert die Sache noch. 

Inwiefern?

Erwachsene und Kinder werden in dem DRG-System gleich erfasst und Leistungen entsprechend gleich vergütet. Nur ein kleines Beispiel: Eine Blutabnahme im Rahmen der Behandlung ist bei Kindern ungleich aufwändiger. Wenn sie einem Erwachsenen Blut abnehmen dauert das keine Minute, wenn sie einem wehrigen Kleinkind Blut abnehmen, kann das zehn Minuten dauern und man braucht dazu drei Leute. Oder wenn ein Erwachsener an einer Lungenentzündung erkrankt, geben Sie ihm Antibiotika und überwachen ihn, im Regelfall ist das eine Behandlung mit überschaubarem Personal- und Zeitaufwand. Bei Kindern ist die stationäre Behandlung mit viel mehr pflegerischem und ärztlichem Ressourcenverbrauch verbunden. 

In den vergangenen Jahren war im Ergebnis die Kinder- und Jugendmedizin immer ein bisschen vernachlässigt. Die Kinder- und Jugendkliniken haben zwangsläufig rote Zahlen geschrieben und wurden von den privaten Klinikbetreibern vermehrt geschlossen, weil sie unrentabel waren.1

Besteht die Gefahr, dass die Entbudgetierung zur Profitsteigerung missbraucht wird?

Die Gefahr des Missbrauchs besteht im Gesundheitssystem, wie es jetzt ist, grundsätzlich. Wenn es ein Regulierungsloch gibt, mit dessen Hilfe man Millionen einstreichen kann, dann wird das auch genutzt. Das sieht man an teuren und teilweise unnötigen medizinischen Eingriffen und Operationen. Das Grundproblem ist die erwähnte Ökonomisierung des Gesundheitswesens, das aber – wie übrigens die Feuerwehr oder die Schule auch – zur Grundversorgung gehört und einfach zur Verfügung gestellt werden sollte. 

Es besteht immer ein gewisses Missbrauchspotenzial, das im Bereich der niedergelassenen Kinderärzte nicht so hoch ist wie anderswo. Du bekommst für jedes behandelte Kind im Quartal 40 Euro – ob das Kind nun einmal oder achtmal in deine Praxis kommt. 

Letztlich schafft die Ökonomisierung des Gesundheitswesens ihre sogenannten Schwarzen Schafe selber?

Sicher. Je größer die Klinik, je größer die Konzentration in einzelnen Bereichen und die Monopolisierung von Angeboten, desto mehr wird ja auch der Bock zum Gärtner gemacht. Wenn derjenige, der den Behandlungsbedarf feststellt auch mit der Behandlung selber sein Geld verdient, ist wenig verwunderlich, wie hoch die ermittelten Behandlungsbedarfe teilweise sind. In Deutschland werden verhältnismäßig viermal so viele Herzkatheter-Untersuchungen durchgeführt wie in der Schweiz. Die Zahl der jährlich eingebauten Hüftprothesen übersteigt den europäischen Durchschnitt proportional um mehrere Zehntausend. All diese medizinisch und volkswirtschaftlich schwer zu begründenden zusätzlichen Eingriffe werden durch die ungedeckelte Ökonomisierung zu lukrativen Maßnahmen, was letztlich den Ausschlag über ihre Durchführung gibt. 

Was wäre eine Alternative?

Eine Idee wäre sicherlich die Schaffung von mehr Gesundheitszentren wie es sie in Skandinavien oder Kanada gibt. Die Ärzte:innen sind staatlich angestellt, bekommen ihr Gehalt und betreiben nach bestem Wissen und Gewissen Medizin. 

Sie arbeiten selber in einem Gesundheitszentrum und haben dieses in den letzten Jahren mit aufgebaut. Ich spreche vom „Geko“ 2 im Berliner Bezirk Neukölln. Was genau ist da ihr Anspruch?

Wir sind allerdings nicht staatlich angestellt. Wir haben uns mit mehreren Menschen, die im weiteren Sinne im Gesundheitsbereich tätig sind, zusammengeschlossen – auch um gegen die erwähnte Ökonomisierung Stellung zu beziehen. Grundsätzlich richten wir uns an den sozialen Determinanten von Gesundheit aus. Das heißt: Wir wollen eine medizinische Versorgung anbieten, die sich am Bedarf und an den lebensweltlichen Bedingungen der Menschen in unserem Einzugsgebiet ausrichtet. 

Wir sprechen vom Rollberg-Kiez in Neukölln, einem der ärmsten Viertel von Berlin. Die Armutsgefährdung im Bezirk Neukölln liegt insgesamt bei rund 25 Prozent. War es eine bewusste Entscheidung den Standort hier aufzubauen.

Sicherlich. Mit dem Anspruch, die soziale Komponente von Krankheit im Blick zu haben, haben wir sorgfältig unseren Ort gewählt. Wir müssen aber auch sehen, dass wir uns in einem sehr heterogenen Umfeld bewegen. Einerseits viel Armut, Suchterkrankungen mit einhergehender Kriminalität, viele Menschen mit niedrigen Einkommen oder abhängig von Transferleistungen; andererseits ist der Rollberg-Kiez ein Gentrifizierungs-Hotspot und es ziehen Menschen hier her, die schon heute oder in einer paar Jahren die gut ausgebildete, wohl versorgte Mittelschicht darstellen. Wir haben uns bei der Standortentscheidung damals also auch gefragt, ob wir in fünf Jahren noch am richtigen Ort sind. Aktuell beobachten wir, dass die Preisentwicklung der Wohnungen häufig nicht ausschließlich eine Vertreibung der prekären Bevölkerung zur Folge hat. Stattdessen bilden sich hinter schicken Fassaden „pockets of poverty“, da die verdrängten Menschen ihren Kiez häufig nicht verlassen sondern bei Freunden oder Verwandten einziehen. 

Wie bemerkt denn der Kinderarzt die Armut?

Dadurch, dass wir in unseren Sprechstunden die sozialen Umstände der Menschen erfassen, ihre Sorgen gezielt erfragen und in unsere Behandlung einbeziehen, bekommen wir mit, wie viele Menschen hier existenzielle Nöte haben. Dazu zählen besonders steigende Mietzahlungen, Schulden, drohende Zwangsräumungen. Besonders die Preissteigerungen in den letzten Monaten waren offensichtlich ein großes Problem, über das wir viel mit unseren Patient:innen gesprochen haben. 

Lothar Müller (47) ist Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, seit vier Jahren niedergelassen im Berliner Bezirk Neukölln und seit 2014 engagiert im Stadtteil-Gesundheits-Zentrum Neukölln, das nach langer Planungs- und Vorbereitungszeit im Jahr 2022 die Arbeit aufgenommen hat. Foto: Felicia Scheuerecker

Im Ergebnis bestätigt sich der Zusammenhang von sozialem Status und Gesundheit immer wieder. Wir sehen, dass die Zahlen von an Adipositas Erkrankten oder auch die Säuglingssterblichkeit viel höher sind als anderswo. Zudem merken wir, dass Menschen, die von Armut betroffen sind eine höhere Inzidenz bei psychischen Erkrankungen haben. Kurzum, in der Kinder- und Jugendmedizin spiegeln sich viele Ergebnisse von Studien zur sozialen Ungleichheit wieder – beispielsweise die geringe Durchlässigkeit nach oben im deutschen Bildungssystem und die Gesundheitskompetenz, die sogenannte health literacy, die wir bei unseren Patient:innen vorfinden. Das äußert sich dann konkret in Fragen wie: Wann geht man zum Kinderarzt und wann muss man in die Rettungsstelle, wann gibt man ein Antibiotikum oder wie sieht die Ernährung der Kinder generell aus? 

Was können Sie in einer armen Gegend wie dem Rollberg-Viertel beitragen – außer als Mediziner bei den Kindern die bereits entstandenen Schäden zu behandeln?

Die Idee hinter dem Gesundheitskollektiv ist die Verzahnung der verschiedenen Bereiche. Bei uns im Haus sitzen neben der Kindermedizin und Allgemeinmedizin sowie psychologischen Angeboten verschiedene Projekte der Sozialen Arbeit. Wir haben ein Café im Haus, das sowohl als niedrigschwelliges Angebot für Nachbar:innen dient als auch Anlaufstelle für Menschen mit sozialen Problemen sein kann und soll. Wenn ich merke, dass die Erkrankung eines Kindes stark mit der sozialen Lage im Elternhaus zusammenhängt, vermittle ich die Familie zwei Türen weiter im gleichen Haus zur Sozialarbeiterin, die weiterhelfen kann. Wenn jemand starke Rückenschmerzen hat, weil er die Räumung aus seiner Wohnung befürchtet, kann vielleicht auch eher eine Sozialberatung helfen als das Verschreiben von starken Schmerzmitteln. 

Kurzum: Die Menschen lernen uns über die Gesundheitsversorgung kennen, finden aber auch Möglichkeiten zum Austausch, zum Kennenlernen. Letztlich geht es auch darum, der Politik zu zeigen, wo Schieflagen bestehen und wie viel ungesunden Stress es bereitet, in derartig prekarisierten Verhältnissen zu leben. Hier sehen wir auch unsere Schnittstellenfunktion und versuchen Kontakte herzustellen. 

Wir verschieben den Fokus: Sie leisten immer wieder Notdienste in Berliner Krankenhäusern, haben als Oberarzt in Bernau bei Berlin gearbeitet und haben darüber einen breiten Einblick in den Klinikbereich. Wie dramatisch ist die Lage?

Wie vielerorten zu lesen war: Der Pflegebereich ist ein Riesenproblem. Die Klinikinfrastruktur, die wir haben, kann teilweise nicht genutzt werden, weil das Personal fehlt. Es fehlen auch Ärzt:innen, aber bei den Pflegenden merkt man am stärksten, wie sehr das gesamte System darunter leidet, dass so sehr auf die Kosten geguckt wird und nicht auf die gute Gesundheitsversorgung. 

Woran liegt das?

Das System wurde in den letzten Jahren kaputtgespart. Ganz einfach. Dazu ist gerade der Kinderklinikbereich in hohem Maße ein Saisongeschäft: Im Sommer braucht man nicht so viel Personal. Wenn aber im Winter die Infektionswellen rollen, sieht das ganz anders aus. Da müsste eigentlich Personal vorgehalten werden, aber das ist nicht lukrativ, wenn die Pflegenden nicht unter Volllast arbeiten. Hier zeigt sich zudem einmal mehr, wie schädlich das Abrechnungssystem nach Fallpauschalen ist. 

Wieso?

Es werden wie im niedergelassenen Bereich die gleichen Standards an Erwachsene und Kinder angelegt. Entsprechend ist die Kindermedizin natürlich nicht lukrativ – und das Krankenhaus, dass nicht profitabel arbeitet wird geschlossen. Unter anderem deshalb ist die Zahl der Betten in Kinderkliniken in den letzten Jahren insgesamt gesunken, der Bedarf aber gerade aktuell gestiegen. Stattdessen hätte ausgebaut werden müssen, was aber nicht getan wurde, weil der Bereich nach der aktuellen ökonomischen Logik unrentabel ist. 

Wenn entbudgetiert wird, wird der Job auf lange Sicht attraktiver, aber es sind keine neuen Pflegekräfte da. Was also tun?

Man müsste letztlich das Rad einige Umdrehungen zurückdrehen. Kinderärztin oder Kinderpfleger sind attraktive und sehr befriedigende Jobs. Die Menschen, die sich dafür entschieden haben, haben das oft aus Überzeugung getan und haben Spaß an ihrer Arbeit. Die meisten, die aufhören, tun dies ja nicht, weil sie keine Kindermedizin mehr machen wollen. Die meisten hören wegen den Arbeitsbedingungen auf. Das beginnt mit dem Lohnzettel, auf dem sich zuerst die mangelnde Wertschätzung ausdrückt. 

Dazu kommen Fehler in der Ausbildung und der manchmal fragwürdige Einsatz fachlicher Expertise. Fast überall in Europa ist Kinderpflege ein Studium, in Deutschland ist es ein Ausbildungsberuf und wird entsprechend behandelt. Dazu haben wir hier nicht die Ausdifferenzierung der Tätigkeiten wie anderswo. Beispielsweise in England sind es nicht die ausgebildeten Krankenschwestern, die das Essen austragen oder Patient:innen durchs Krankenhaus fahren. Das machen Menschen mit einer anderen Qualifikation, und die hochqualifizierten „Nurses“ nehmen die medizinischen Aufgaben wahr. Das ist viel sinnvoller als hierzulande, wo oft gut ausgebildete Fachleute für Arbeiten eingesetzt werden, die keine so hohe Qualifikation erfordern. Der oft fachfremde Einsatz von Personal ist ein absolut ineffektiver Einsatz von hochqualifizierten Ressourcen. 

Nach all dem Gesagten die letzte, alles entscheidende Frage: Was kann im Hier und Jetzt konkret getan werden, um die Situation vor Ort in Kliniken und Praxen zu verbessern?

Wir begrüßen die angekündigte Abschaffung der Fallpauschalen, wobei wir die reine Ankündigung mit Vorsicht genießen sollten. Schließlich war es Lauterbach, der das DRG-System vor 20 Jahren mit der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt eingeführt hat. Es besteht die Gefahr, dass durch die Reform in ihrer aktuellen Form am Ende per Sachzwanglogik für viele periphere Krankenhäuser in ländlicher Gegend der finanzielle Hahn abgedreht wird. Dazu fordern wir die Abkehr vom Primat der teuren Gerätemedizin. Wir brauchen keine Über-, Unter oder Fehlversorgung mit einzelnen hochdotierten Eingriffen, sondern eine gute, umfassende und breit aufgestellte Gesundheitsversorgung. Dazu gehört nicht zuletzt eine besser gelebte Interprofessionalität – hin zur Einbeziehung von beispielsweise der Sozialen Arbeit und weg von der reinen Arztzentrierung. Grundsätzlich sollte die medizinische Versorgung als Daseinsvorsorge betrachtet werden, die kostendeckend und bedarfsgerecht finanziert werden muss, mit der aber keine darüber hinaus gehenden Gewinne erwirtschaftet werden sollten. 

Danke für das Gespräch

Zuerst veröffentlicht in SozSich 3/2023, S. 106ff.
www.bund-verlag.de/zeitschriften/soziale-sicherheit