Die Gewerkschaften blicken auf Europa. Die Wahl zum Europaparlament steht am 1. Mai im Zentrum. Der DGB hat am Freitag seine Schwerpunkte für dieses Jahr vorgestellt. Fazit: Eine Reihe dicker Bretter werden weitergebohrt.
Von Jörg Meyer
Europa steht vor einer “Schicksalswahl”, sagte der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, am Freitag in Berlin. Der Dachverband hatte zum Jahresauftakt die Medien zur Pressekonferenz eingeladen. “Europa droht durch eine zunehmende Spaltung aus den Fugen zu geraten”, so Hoffmann. Deshalb wolle sich sein Dachverband mit knapp sechs Millionen Mitgliedern 2019 “noch intensiver als bisher” dem Thema Europa widmen. Geplant ist eine bundesweite Europa-Kampagne mit Veranstaltungen und Aktionen, um für die Wahlen zum Europaparlament am 26. Mai zu mobilisieren.
Befürchtet wird bei den Wahlen ein Rechtsruck oder zumindest ein starker Zugewinn für EU-kritische Parteien. Beim Blick auf die rechten und nationalkonservativen Regierung in den Nachbarländern oder den EU-Ausstieg Großbritanniens, scheint diese Befürchtung nicht ganz unberechtigt.
“Wir dürfen Europa nicht den Rechtspopulisten und Europa-Skeptikern überlassen”, sagte Hoffmann weiter. Deswegen werde auch der 1. Mai, historisch der internationale Kampftag der Arbeiterklasse, unter dem Motto “Europa. Jetzt aber richtig.” stehen. Dieses Motto zeige, dass Europa nicht nicht nur wichtig sei, sondern auch reformbedürftig. “Wir wollen, dass Europa sozialer und solidarischer wird.” Nötig sei eine “Investitionsoffensive” für Europa, um Wachstum, Arbeitsplätze, Bildung und Wohlstand auch in Zukunft zu sichern und die Klimaziele zu erreichen.
Konkret bereitet sich der DGB derzeit auf die Kampagne vor. Es soll dem Vernehmen nach kreative Aktionen im öffentlichen Raum geben. Geplant seien auch Aktionen in Grenzregionen mit Gewerkschafter/innen aus europäischen Nachbarländern. Auf betrieblicher Ebene sind Info-Veranstaltungen und Aktionen in Zusammenarbeit mit den jeweils zuständigen Gewerkschaften in Vorbereitung. Neben dem 1. Mai steht auch der 9. Mai, der Europa-Tag, im Kalender des DGB.
DGB-Gewerkschaften ziehen an einem Strang
Von den Mitgliedsgewerkschaften sind Aktionen im Vorfeld der Europawahl zu erwarten sein. “Wir werden unsere Positionen in den Euroapwahlkampf einbringen”, sagte eine IG Metall-Sprecherin auf Nachfrage. Auch die IG BAU wird sich an der DGB-Kampagne beteiligen. Sie hatte bereits in ihrem Mitgliedermagazin im November die EU als Schwerpunkt. Zu den Forderungen der Bau-, Agrar- und Umweltgewerkschaft gehört unter anderem ein Ende von Lohn- und Sozialdumping über eine konsequente Umsetzung der Entsenderichtlinie oder der Schutz von Streikrecht und Tarifautonomie. Überdies will die IG BAU, dass Agrarsubventionen nur an Betriebe gehen, die Tariflöhne zahlen. „Unser Ziel ist ein Europa, in dem soziale Rechte Vorrang vor wirtschaftlicher Freihheit haben”, sagte der IG BAU-Bundesvorsitzende Robert Feiger auf Anfrage.
Tarifbindung und Gerechtigkeit vor der eigenen Haustür
Doch auch vor der eigenen Haustür gibt es genug zu tun, beispielsweise SPD und CDU an ihren Koalitionsvertrag zu erinnern. Ein Thema, dass den DGB als politischen Arm der Gewerkschaften nach wie vor umtreibt, ist die Stärkung der rückläufigen Tarifbindung. Hatten im Jahr 1998 noch 53 Prozent der Betriebe bundesweit einen Tarifvertrag sind es heute noch 27 Prozent in West- und 18 Prozent in Ostdeutschland. Zwar sei im aktuellen Koalitionsvertrag von CDU und SPD eine Stärkung der Tarifbindung vorgesehen, so Hoffmann am Freitag, doch geschehe da zu wenig. “Wenn es darauf ankommt, dann kneift die Politik und macht einen Kniefall vor den Arbeitgebern.
Der DGB bekräftigte seine Forderungen nach einer Ausweitung der Allgemeinverbindlichkeit: Wenn ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wird, werden seine Regelungen für alle Beschäftigten und Unternehmer im Geltungsbereich wirksam – ob es um einen bisher tarifgebundenen Betrieb geht oder nicht. Gewerkschaften und Arbeitgeber beantragen gemeinsam die Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit beim Bundesarbeitsministerium. Mehrheitlich wird dann entschieden, dass der Tarifvertrag allgemeinverbindlich werden soll. Doch das scheitert oft an der Gegenstimme der Arbeitgeberverbände. Deshalb fordert der DGB die Umkehr des Abstimmungsmodus: Künftig soll die Ablehnung eines Antrages mehrheitlich erfolgen müssen, nicht wie bisher die Annahme. Damit könne man die Blockadehaltung der Arbeitgeber brechen, hieß es aus dem DGB.
Keine Gleichstellung nach 100 Jahren
Auch hundert Jahre, nachdem Frauen erstmals wählen durften, sei man von einer Gleichstellung weit entfernt, sagte DGB-Vize Elke Hannack am Freitag. Der DGB fordert deshalb eine Ausweitung des Lohntransparenzgesetzes. Danach können Frauen im Betrieb Informationen darüber einfordern, was ihre männlichen Kollegen verdienen. „Das Entgelttransparenzgesetz hilft zwei Dritteln der arbeitenden Frauen nicht, weil sie in Betrieben mit weniger als 200 Beschäftigten arbeiten”, sagte Hannack. “Wir wollen, dass dieses Gesetz endlich auch kleinere Betriebe erfasst, um Benachteiligungen von Kolleginnen endlich zu beseitigen.“ Es gebe für 2019 noch keine konkreten Vorschläge dazu aus dem zuständigen Ministerium – “geschweige denn auch nur ein Zeichen aus den anderen Ressorts, sich hier zu engagieren”, kritisierte die Gewerkschafterin. Eine Gleichstellungsstrategie bedeute eben auch, dass Gesetze daraufhin überprüft werden, ob sie strukturelle Benachteiligungen von Frauen verhindern.
Der Equal Pay Day symbolisiert die geschlechterspezifische Lohnlücke. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes erhalten Frauen im Schnitt 21 Prozent weniger Brutto im Monat als Männer. Umgerechnet ergibt das 77 Tage, die Frauen pro Jahr umsonst arbeiten. Der Equal Pay Day fällt in Deutschland in diesem Jahr auf den 18. März.
Elke Hannack kritisierte überdies den kürzlich vorgelegten Entwurf für die Novellierung des Berufsbildungsgesetzes als unzureichend. Die vom Bildungsministerium vorgeschlagene Mindestausbildungsvergütung in Höhe von 504 Euro sei nach Abzug der Sozialbeiträge nur wenig höher als das Schüler-BAFöG eines Berufsfachschülers. Der DGB fordert 80 Prozent der durchschnittlichen tariflichen Ausbildungsvergütung als Untergrenze.
DIe Renten sollen sicher sein
Die Rente ist schon lange ein zentrales Thema des DGB. Er fordert nach den Kürzungen vergangener Jahre und dem ewig anmutenden Hickhack um die Beitrgashöhe eine Stärkung der gesetzlichen Rente. Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach sagte: “Die Bilanz der vergangenen 15 Jahre zeigt: Es ist unmöglich, privat den Lücken hinterherzusparen, die in der gesetzlichen Rente gerissen worden sind.” Darum sei es wichtig das Rentenniveau über 2025 hinaus zu sichern und noch anzuheben. Dafür die Konzept zu liefern, sei Aufgabe der Rentenkommission, die das Bundesarbeitsministerium im Sommer 2018 eingesetz hatte und deren Mitglied Buntenbach ist. Die weitere Anhebung des Rentenniveaus, nach DGB-Beschusslage auf “etwa 50 Prozent” sei nicht umsonst zu haben, aber das sei sie am Kapitalmarkt auch nicht.
Sozialverträglich aussteigen
Vorstandsmitglied Stefan Körzell bekräftigte die Forderung des DGB, den Kohleausstieg nicht auf dem Rücken der Beschäftigten durchzuführen. Die Bundesregierung müsse genügend Geld für den bevorstehenden Ausstieg bereitstellen. “Die Beschäftigten brauchen eine Sicherheitszusage, dass sie nicht ins Bergfreie fallen”, sagte Körzell. Aufgabe der Strukturwandelkommission, deren Mitglied er ist, sei es, einen Kompromiss zu finden, der Klimaschutz, gute Arbeit und gerechten Strukturwandel zusammenbringt.”
Überdies forderte Körzell mehr Steuergerechtigkeit und sprach sich entschieden gegen die Abschaffung des Solidaritätszuschlages aus. Das stärke nicht die Binnenkonjunktur, sondern die Reichen, die dann noch mehr Geld auf die hohe Kante legen können.“ Alternativ brauche es ein gerechtes Steuersystem, so Körzel weiter. “Wir wollen die entlasten, die as Geld auch ausgeben – kleine und mittlere Einkommen; während Spitzenverdiener mehr zum Gemeinwesen beitragen müssen“.
Dies stärke den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den demokratisch verfassten Staat, der seine Steuereinnahmen für überfällige „massive öffentliche Investitionen“ einsetzen könne.