Der Mindestlohn reicht nicht

Jörg Meyer über den neuen Mindestlohnreport des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts

Weltweit sind die Mindestlöhne im vergangenen Jahr gestiegen. In der EU gab es den höchsten Reallohnzuwachs seit dem Jahr 2000. Das ist im Mindestlohnbericht 2017 zu lesen, den die Hans-Böckler-Stiftung am Dienstag vorstellte. Doch vielerorten reicht der Mindestlohn kaum zum Mindesten. In Deutschland können Beschäftigte in einem Mindestlohnjob über die Runden kommen – so lange, bis sie sich in die Altersarmut hinüberretten. Und das im Land mit dem weltweit höchsten Exportüberschuss. „Der Mindestlohn reicht nicht“ weiterlesen

Wie lange dauert das noch?

IG Metall will Arbeitszeit zum Thema der Tarifrunde 2018 machen

Von Jörg Meyer
Gute Nachrichten von der IG Metall: Die Mitgliederzahl ist so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr. Die Streikkasse und die Rücklagentöpfe für harte Zeiten sowie die betriebliche Altersversorgung der eigenen Beschäftigten sind gut gefüllt. Überdies bereitet sich die größte der DGB-Mitgliedsgewerkschaften derzeit thematisch verstärkt auf die Bundestagswahl 2017 vor.

Die Gewerkschaftsspitze zog am Mittwoch in Berlin vor der Presse Bilanz und präsentierte einen Ausblick auf die Pläne im Jahr 2017. Ein zentrales Projekt ist die im Herbst des Vorjahres angekündigte Beschäftigtenbefragung. Nach eigenen Angaben haben die IG-Metall-Betriebsräte und Aktiven vor Ort rund 2,3 Millionen Fragebögen in bundesweit 13 700 Betrieben an Mitglieder und Nichtmitglieder verteilt. Das Thema Arbeitszeit steht bei der Befragung im Fokus. „Wie lange dauert das noch?“ weiterlesen

Ein nicht verarbeitetes Trauma

Malou Berlin beschreibt in »Brandspuren« wie eine Familie mit einem fremdenfeindlichen Anschlag im Ort umgeht

Von Jörg Meyer
Eine Familiengeschichte, nein! Ein Nachwenderoman, nein! Ein Stück Gesellschaftsgeschichte, nein, nein und nochmals nein! »Vielschichtig«, so das viel und doch wenig sagende Wort, das dem Rezensenten beim Nachdenken über den Roman »Brandspuren« von Malou Berlin in den Sinn kommt. Es ist auch nicht wichtig, eine Schublade zu finden, in die das ganze Buch passt.

Der zweite Roman der Autorin und Filmemacherin erzählt die Geschichte dreier Frauen: Großmutter, Mutter, Tochter in der fiktiven brandenburgischen Kleinstadt Ratzlow und in Berlin. Erzählt vom Leben und Wollen und vom Scheitern jeder einzelnen und vom belasteten und auch zerstörten Verhältnis zueinander. „Ein nicht verarbeitetes Trauma“ weiterlesen

Fördern und Fordern 4.0

Jörg Meyer über das Weißbuch Arbeiten 4.0 der Bundesarbeitsministerin

Sicherlich, die Arbeitswelt verändert sich rapide durch das Phänomen, das landläufig Digitalisierung genannt wird. Wie doll? Das ist Gegenstand der Diskussion und auch Gegenstand der Propaganda, wie man derzeit gut beobachten kann. Derzeit, das heißt: In den letzten Tagen, nachdem Nahles ihr lang erwartetes Weißbuch zum Arbeiten 4.0 vorgestellt hat. Darin enthalten: Eine an der Basis schlüssige Ausgangsanalyse. Beschäftigte fühlen sich durch die Digitalisierung gestresster und unsicherer in ihrem Job. Dem muss Rechnung getragen werden, einige Regelungen und Arbeitsgesetze – und Sozialgesetze – müssen angepasst oder neu geschrieben werden.

Kritik kommt von allen Seiten. Den einen geht es mit der Flexibilisierung nicht schnell genug, und sie möchten die Öffnungsklauseln etwa bei der Arbeitszeit auch in nicht tarifgebundenen Betrieben anwenden. Die anderen kritisieren, dass ohne neue wissenschaftliche Erkenntnisse überhaupt an den Ruhezeiten zwischen zwei Schichten herumexperimentiert werden soll. „Fördern und Fordern 4.0“ weiterlesen

»Nur einen Ehegatten von Armut entfernt«

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach über Rente, Frauen und das Arbeiten im Kollektiv

Sie waren Bundestagsabgeordnete für die Grünen, Abteilungsleiterin der Gewerkschaft IG BAU und sind heute DGB-Vorstandsmitglied. Was war denn ihre erste Gewerkschaft?
Das war ab 1978 die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, eine der ver.di-Gründungsorganisationen. Ich hatte einen studentischen Hilfskraftjob an der Geschichtsfakultät der Uni Bielefeld. Für mich war immer klar, dass die Gewerkschaft ein Ort ist, an dem Solidarität organisiert wird und Leute sich zusammenschließen, damit sie nicht gegeneinander ausgespielt werden. Deshalb war der Eintritt für mich keine Frage. „»Nur einen Ehegatten von Armut entfernt«“ weiterlesen

In Klötze gehen die Lichter aus

Jede und jeder in Klötze kennt jemand, der oder die bei Fricopan arbeitet. Noch. Die Großbäckerei macht in der Altmark nach 20 Jahren dicht. Gut 500 Jobs vernichtet, eine ganze Region ist betroffen.

Von Jörg Meyer, Klötze
Immekath ist eine 600-Seelen-Gemeinde und ein Ortsteil der gut sechs Kilometer entfernten Stadt Klötze in der Altmark; Bauernhöfe, Rotziegel, vereinzelt Fachwerk, eine Kirche, Handwerksbetriebe, der ein oder andere Neubau und am Südrand: die Fabrik. Mehlsilos, Kühlhäuser, Produktionshallen, ein Verwaltungsgebäude. Von oben besehen ist das Werksgelände so groß wie ein Viertel des Dorfes. Hier ist seit 1996 der Standort von Fricopan, einer in Garching bei München gegründeten Großbäckerei, die Tiefkühlbackwaren herstellt.

Gerda Hentschel trägt einen Button an ihrem Pullover, als wir zusammen den Imbiss in Klötze betreten, um Kaffee zu kaufen. Schlaf ist vertagt, es geht seit Tagen von Telefonat zu Telefonat, von Versammlung zu Versammlung. »Finger weg von Fricopan«, steht auf dem Button. Als die Frau hinter dem Imbisstresen das sieht, sagt sie: »Das ist wohl zu spät!« „In Klötze gehen die Lichter aus“ weiterlesen

Öffentlicher Dienst, Einkommensrunde 2016

Vertagt ohne Ergebnis

Über die Tarifrunde für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen 2016

Der erste Verhandlungstermin hat meist einen erwartbaren Verlauf, doch das heißt nicht, dass es um nichts geht. Verhandlungsbeginn 14 Uhr. Der Zweite Vorsitzende des dbb, Willi Russ, sowie der kommunale Arbeitgeberpräsident Thomas Böhle haben ihre Statements vor der Presse abgegeben, ver.di-Chef Frank Bsirske hat vor den im Regen beim Kongresshotel Potsdam rund 250 Protestierenden gesprochen – fehlte amMontag bloß noch Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Der kam kurz vor 14 Uhr und ließ, begrüßt vom gewerkschaftlichen Pfeifkonzert, seinen Wagen nicht vor dem Haupteingang halten, sondern eine Ecke davor bei der Kundgebung. Die vor dem Hotel wartenden Fernsehjournalisten/-innen quittierten dies mit einem kollektiven „Na toll!“ und legten einen kleinen Sprint ein, um ihre Ankunftsbilder vom Minister zu schießen. „Öffentlicher Dienst, Einkommensrunde 2016“ weiterlesen

Unbeabsichtigte, absichtliche Gedichte

Es ätzt und juckt. Georg Kreisler legt einen Lyrikband vor

Von Jörg Meyer

Kreisler zitiert Max Beerbom: »Wenn man ein Schaf auf zwei Beine stellt, ist es deswegen kein Mensch. Aber wenn man eine ganze Schafherde auf zwei Beine stellt, ist es ein Publikum.« Das laute Lachen im Leipziger Centraltheater quittierte Georg Kreisler mit dem Satz: »Das ist nicht nur komisch, sondern auch richtig.« Und weiter: »Das Publikum ist grausam, fast so grausam wie ein Literaturkritiker, wobei ein Publikum, im Gegensatz zum Kritiker, intelligent ist.

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