Öffentlicher Dienst, Einkommensrunde 2016

Vertagt ohne Ergebnis

Über die Tarifrunde für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen 2016

Der erste Verhandlungstermin hat meist einen erwartbaren Verlauf, doch das heißt nicht, dass es um nichts geht. Verhandlungsbeginn 14 Uhr. Der Zweite Vorsitzende des dbb, Willi Russ, sowie der kommunale Arbeitgeberpräsident Thomas Böhle haben ihre Statements vor der Presse abgegeben, ver.di-Chef Frank Bsirske hat vor den im Regen beim Kongresshotel Potsdam rund 250 Protestierenden gesprochen – fehlte amMontag bloß noch Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Der kam kurz vor 14 Uhr und ließ, begrüßt vom gewerkschaftlichen Pfeifkonzert, seinen Wagen nicht vor dem Haupteingang halten, sondern eine Ecke davor bei der Kundgebung. Die vor dem Hotel wartenden Fernsehjournalisten/-innen quittierten dies mit einem kollektiven „Na toll!“ und legten einen kleinen Sprint ein, um ihre Ankunftsbilder vom Minister zu schießen.

Vor Ort waren da noch rund 50 Leute mit dbb Fahnen und Westen. komba, BDZ, vbob waren zu sehen. De Maizière stieg aus, schüttelte Hände, scherzte mit den Protestierenden. Ein Kollege vom Zoll sagte: „Herr Minister, wir brauchen mehr Geld. Nicht nur für uns, sondern auch für unsere Kinder.“ Der Angesprochene konterte: „Denen geben Sie Ihr Geld?“ Das Tarifergebnis wolle er wieder schnell auf die Beamten/-innen übertragen, sagte de Maizière – eine Haltung, die ihm schon bei seinem ersten Auftritt als Innenminister auf der dbb Jahrestagung in Köln 2010 Sympathie eingebracht hatte. Kein Amtsvorgänger habe sich zum öffentlichen Dienst bekannt wie er, hörte man damals von Teilnehmern/-innen.

Der Bundesinnenminister ist der oberste Dienstherr und damit sorgender Chef für die Beschäftigten. In den Tarifrunden ist er auch ihr Gegner. Die Entgeltforderung von sechs Prozent bezeichnete er kurz nach dem Kundgebungsbesuch vor der Presse als „unangemessen, überzogen und ohne Augenmaß“. Seine Aussage, der Nachholbedarf gegenüber der Wirschaft sei „längst erledigt“, verärgert. Das erste Treffen brachte kein Ergebnis. Jetzt warten die Gewerkschaften auf ein Angebot der Arbeitgeber. Die lehnten am Montag dem Vernehmen nach auch das geforderte Ende der sachgrundlosen Befristungen ab. Böhle beharrte zudem auf Leistungseinschnitte bei der Zusatzversorgung. Erste Warnstreiks sind für die Zeit nach Ostern angekündigt. Willi Russ sprach von „erheblichen Wahrnehmungsunterschieden“ zwischen Arbeitgeberseite und Gewerkschaften.

Einerseits sind die Tariftermine in Potsdam eine wiederkehrende Größe: hinfahren, Kundgebung angucken, Auftaktstatements hören und zusammenfassen, eine erste Nachricht schreiben und dann: warten. In der Zeit sammelt der geneigte Journalist Informationen, tauscht sich mit Kolleginnen und Kollegen aus oder spricht mit Beschäftigten. Irgendwann, spätnachmittags wie jetzt, am 21. März 2016 oder spätabends, wenn bis zuletzt um jedes Wort im neuen Tarifabschluss gerungen wurde, öffnen sich die Türen, die Verhandlungsdelegationen treten vor die Presse, sprechen von einem „tragfähigen Kompromiss“. Dann Text schreiben, an die Redaktion schicken, endlich Feierabend, langer Tag.

Diese mutmaßliche Berechenbarkeit des Ablaufs ändert nichts an der Tatsache, dass es hier wirklich um etwas geht. Geld ist das eine. Im öffentlichen Dienst geht es aber auch um die Zukunft: Der dbb warnt seit Jahren vor der Überalterung der Belegschaften. Zuletzt hatte die DGB-nahe Hans-Böckler-Stiftung eine Studie präsentiert, in der aufgrund von steigendem Stress und Altersdurchschnitt sowie einer Vielzahl von Überstunden eine sinkende Attraktivität des kommunalen öffentlichen Dienstes als Arbeitgeber diagnostiziert wird. Löhne und Gehälter steigen nicht dementsprechend, und dann reitet die Arbeitgeberseite auch noch eine Attacke nach der anderen gegen die Zusatzversorgung.

Die Mehrbelastung, vor der die Kolleginnen und Kollegen nicht nur in den kommunalen Verwaltungen aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen stehen, zeigte zuletzt, wie sehr der öffentliche Dienst auf dem letzten Loch pfeift und wie sehr eine Krisensituation an den Rand der Belastbarkeit führt und noch darüber hinaus. Es wäre interessant zu sehen, wie sich die Belastung der letzten Monate auf den Krankenstand in den nächsten Monaten auswirkt.

Jörg Meyer

Erschienen im dbb magazín 4/16, Seite 8