IG Metall will Arbeitszeit zum Thema der Tarifrunde 2018 machen
Von Jörg Meyer
Gute Nachrichten von der IG Metall: Die Mitgliederzahl ist so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr. Die Streikkasse und die Rücklagentöpfe für harte Zeiten sowie die betriebliche Altersversorgung der eigenen Beschäftigten sind gut gefüllt. Überdies bereitet sich die größte der DGB-Mitgliedsgewerkschaften derzeit thematisch verstärkt auf die Bundestagswahl 2017 vor.
Die Gewerkschaftsspitze zog am Mittwoch in Berlin vor der Presse Bilanz und präsentierte einen Ausblick auf die Pläne im Jahr 2017. Ein zentrales Projekt ist die im Herbst des Vorjahres angekündigte Beschäftigtenbefragung. Nach eigenen Angaben haben die IG-Metall-Betriebsräte und Aktiven vor Ort rund 2,3 Millionen Fragebögen in bundesweit 13 700 Betrieben an Mitglieder und Nichtmitglieder verteilt. Das Thema Arbeitszeit steht bei der Befragung im Fokus.
Die Ergebnisse sollen ab April vorliegen. Im Juni will die IG Metall im Rahmen einer Konferenz zur Arbeitszeit die Ergebnisse diskutieren und damit das weitere Vorgehen planen. Sie seien ein direkter »Auftrag hunderttausender Menschen, die Interessen der Beschäftigten in die betriebliche, tarifliche und politische Debatte zu tragen«, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann am Mittwoch und kündigte an, die Gewerkschaft werde mit arbeitszeitpolitischen Forderungen in die Tarifrunde 2018 gehen. Dazu gehört auch eine Stärkung der Tarifbindung, denn Menschen in Betrieben ohne Tarifvertrag würden im Schnitt deutlich länger arbeiten – dafür aber auch weniger verdienen.
Zur Vorbereitung der Befragung wurden bereits über 2000 Betriebsräte zu Arbeitszeitmodellen befragt. »Schon ein paar wenige Befunde zeigen, dass betrieblich und tariflich gehandelt werden muss«, sagte Hofmann. In vielen Betrieben würden Überstunden nicht bezahlt und auch nicht abgebummelt. Für den Ersten Vorsitzenden ist es »Ausbeutung, wenn geleistete Arbeit ohne Vergütung verfällt«. In jedem zehnten Betrieb werde unvergütete Mehrarbeit geleistet. Ebenfalls in nur zehn Prozent der Betriebe gebe es Regelungen, die die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf unterstützen.
Große Überraschungen sind das sicherlich alles nicht. Die IG Metall hatte bereits im Oktober ihr Positionspapier zur Bundestagswahl vorgestellt, das entsprechende Forderungen enthält. Doch mit derlei Befragungen kann die Gewerkschaft regelmäßig überprüfen, wie ihre Politik bei den Beschäftigten ankommt und wo bei ihnen der Schuh drückt.
Die erste groß angelegte Umfrage wurde 2013 durchgeführt. Rund eine halbe Million Menschen hatten sich damals beteiligt. Als Resultat und mit den Ergebnissen im Rücken startete die IG Metall ihre laufende Arbeitszeitkampagne sowie die Kampagne zum Rentenniveau und machte sich auf, um Werkverträge und Leiharbeit zu regulieren.
Groß angelegte Kampagnen kosten Geld, und das hat die IG Metall. Hauptkassierer Jürgen Kerner stellte Zahlen vor, verriet aber nicht, was die Gewerkschaft auf der hohen Kante hat und wie genau sie ihr Geld anlegt. Nur so viel sagte Kerner: »Ziel ist langfristige Stabilität, nicht die Renditemaximierung.« – Ein altbekanntes Spiel zwischen Medien und GewerkschafterInnen. Die geben zwar sehr gerne Auskunft über anstehende Kämpfe oder jüngst Erreichtes, werden aber wortkarg, wenn es um den Inhalt ihrer Kampfkasse oder um konkrete Mitgliederzahlen im einzelnen Betrieb geht. »Wir würden für die Arbeitgeber berechenbar«, lautete denn auch das bekannte Argument, das Kerner am Mittwoch dem fragen Kollegen entgegnete.
Im vergangenen Jahr hat die IG Metall 548 Millionen Euro aus Mitgliedsbeiträgen eingenommen; 15 Millionen mehr als 2015. Das Plus sei Ergebnis der guten Tarifabschlüsse, sagte Kerner, und an der erfolgreichen Mitgliederwerbung vor Ort.
Bundesweit sind es 155 Geschäftsstellen, für die im letzten Jahr 192 Millionen Euro bereitstanden. Überdies solle das »Finanzierungsmodell erweitert« werden und zwölf Millionen Euro jährlich mehr in die Geschäftsstellen fließen.
Die IG Metall will so ihre Präsenz in der Fläche erhalten – und stärken. Dafür sollen in den kommenden neun Jahren insgesamt 191 Millionen Euro in Erschließungsprojekte in den Landesbezirken fließen, sagte die Zweite Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner. Sie stellte die aktuelle Mitgliederentwicklung vor: Zum 21. Dezember 2016 hatte die IG Metall 2 274 033 Mitglieder, davon 1 569 690 in Lohn und Brot. Bei den betriebsangehörigen Mitgliedern sei damit der höchste Stand der letzten zehn Jahre erreicht, so Benner.
407 681 Frauen seien Mitglied der IG Metall, 323 072 Angestellte, 156 851 Ingenieure und Technische Experten sowie 234 076 Jugendliche. Den größten Zuwachs hatte die Gewerkschaft im Vorjahr bei Studierenden zu verzeichnen. Die Zahl stieg um 20 Prozent auf 44 250. Benner betonte, die IG Metall werde vielfältiger; 43 Prozent der Neumitglieder seien bis 27 Jahre alt, bei den Frauen habe es 2016 erneut einen Zuwachs gegeben. Mittlerweile organisiere die IG Metall Frauen fast im gleichen Verhältnis, wie sie auch in den Branchen arbeiten, in denen die Gewerkschaft aktiv ist. Und rund eine halbe Million Mitglieder der IG Metall haben einen Migrationshintergrund.
Die aktuelle Befragung ist der zweite Schritt in Richtung Bundestagswahl. Der erste war der Sozialstaatskongress im Herbst 2016, bei dem es unter dem Titel »Sozialstaat 4.0« unter anderem um eine Reregulierung des Arbeitsmarktes, eine Rentenreform oder Forderungen nach Integration von Geflüchteten und MigrantInnen ging.
Im dritten Schritt will die IG Metall konkrete Forderungen an die Parteien stellen. Eine Wahlempfehlung wird die Gewerkschaft nicht abgeben. Auf die Frage, was er vom Rückzug des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel halte und wie er zu Martin Schulz stehe, der nun Kanzlerkandidat und Parteivorsitzender wird, sagte Hofmann, man solle »den Sachverhalt« nicht überbewerten: »Es ist für uns nicht die Person wichtig, sondern wie sich die Parteien zu den uns wichtigen Themen positionieren.« Da stehe die Gewerkschaft mit allen Parteien »gleichermaßen im Disput«.
neues deutschland, 26.01.2017, Seite 2
Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/1039801.wie-lange-dauert-das-noch.html