Der DGB legte beim Bundeskongress seine Richtlinien für die Transformation des Arbeitsmarktes und der Sozialsysteme in Zeiten der Digitalisierung vor. Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte in ihrer Gastrede eine Aufweichung der Arbeitszeitregelungen. Für die Gewerkschaften ist das eine Kampfansage.
Sozialpolitik, Arbeitsmarktpolitik, Arbeitszeitpolitik – dicke Klopper im Kontext gewerkschaftlicher Auseinandersetzungen. Am dritten Tag seines Bundeskongresses in Berlin stand beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) die Diskussion um die Zukunft der Arbeit und Soziale Sicherung auf dem Programm. Mit dem Leitantrag B001 „Arbeit der Zukunft und soziale Sicherheit“ legte der DGB seine Ziele und Forderungen für die nächsten Jahre fest. Die allgegenwärtige Themen, das auch die Diskussion hier prägte: Digitalisierung und die Transformation der Arbeit.
Mit der zugehörigen DGB-Pressemitteilung erreichte das passende Schlagwort die Redaktionen: „Politik der Ermöglichung“. Menschen sollen an guter Erwerbsarbeit teilhaben und die Möglichkeit haben, ihre persönliche Entwicklung zu fördern. Wichtig dafür: Qualifizierung, Selbstbestimmung über die eigene Arbeitszeit und eine Weiterentwicklung der Sozialversicherungssysteme. Dazu hat der DGB einen ganzen Sack voll Forderungen und Vorschlägen, wie in den nächsten Jahren der Arbeitsmarkt umgebaut werden soll.
Die Diskussion ist so neu nicht: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, damals unter Ministerin Andrea Nahles (SPD), hatte im November 2016 das „Weißbuch Arbeit 4.0“ vorgelegt. Mit dem Buch wollte die Politik nach einer breiten gesellschaftlichen Debatte Lösungen anbieten. Lösungen wie die Arbeit der Zukunft aussehen kann, wie die Transformation des Arbeitsmarktes gestaltet werden kann, usw.
Eine im Weißbuch enthaltene Lösung: betriebliche Experimentierräume, in denen mit neuen Arbeitszeitmodellen – auf Basis eines Tarifvertrages und unter wissenschaftlicher Begleitung – gespielt werden sollte. Das war im Vorfeld der Veröffentlichung bereits auf Kritik gestoßen. Jeder Griff nach dem Arbeitszeitgesetz ist vielen Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern ein Dorn im Auge. Der Kampf um Arbeitszeiten ist immer ein härterer gewesen als um Entgeltsteigerungen.
Die Arbeitgeberverbände machen seit Jahren wieder Politik gegen das Arbeitszeitgesetz. Sie bezeichnen Regelungen wie den Acht-Stunden-Tag als zu starr, um dem Wandel des Arbeitsmarktes gerecht zu werden und fordern Flexibilität. Die Gewerkschaften halten dagegen. Es gebe genug Ausnahmen im Gesetz – besonders für die Branchen, deren Arbeitgeber am lautesten nach Aufweichungen des Gesetzes rufen.
Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) hatte zum DGB-Kongress einen Antrag eingereicht, der jedwede Änderung am Arbeitszeitgesetz auschließt. Der Leitantrag des DGB-Vorstandes zur Transformation des Arbeitsmarktes brauche ein “solides Fundament”, auf dem er stehe, argumentierte NGG-Chefin Michaela Rosenberger. Und das ist das Arbeitszeitgesetz. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) tut sich seit Jahren im Kampf gegen dieses Gesetz hervor. Die Arbeitgeber fordern mehr Flexibilität bei den Arbeitszeiten, damit die Beschäftigten länger arbeiten können und kürzere Ruhezeiten haben. Die NGG hält seit Jahren dagegen. “In unseren Branchen sind die Beschäftigten schon immer sehr flexibel. Sie sorgen dafür, dass 24 Stunden am Tag, an 365 Tagen im Jahr Menschen versorgt werden können.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stellte sich in ihrer Rede am Dienstag auf dem DGB-Bundeskongress auf die Seite der Arbeitgeber. Auch wenn es den Gewerkschaften nicht gefalle, müsse das Thema auf der Tagesordnung bleiben. Sie sprach sich für eine Aufweichung von “starren Regelungen” aus und forderte von den Gewerkschaften mehr Flexibilität. Der Kommentar, der von GewerkschafterInnen nach der Rede zu hören war: “Das war eine Kampfansage.” Die Auseinandersetzung um die Arbeitszeit dürfte sich noch lange hinziehen.
Mit dem Leitantrag „Arbeit der Zukunft und soziale Sicherheit“ präsentierten die Gewerkschaften beziehungsweise ihr allgemeinpolitischer Arm, der DGB, ihre Überlegungen für die Neugestaltung des Arbeitsmarktes und des Sozialstaates. Annelie Buntenbach ist DGB-Vorstandsmitglied und dort anderem zuständig für die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Sie erklärt die Ziele des Leitantrages im Interview.