Gewerkschaften und Linksfraktion kritisieren Gesetz zur Umsetzung der EU-Entsenderichtlinie scharf
Nun soll sie endlich in Deutschland zum Gesetz werden: die novellierte EU-Richtlinie für aus dem Ausland entsandte Arbeitskräfte. Der Bundestag berät an diesem Freitag in erster Lesung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung, der unter anderem Änderungen des Arbeitnehmerentsendegesetzes enthält. Das neue Gesetz soll Ende Juli in Kraft treten.
Der DGB und die Linksfraktion kritisieren jedoch den Gesetzentwurf. Der DGB hatte schon im Januar den Referentenentwurf eine Mogelpackung genannt (»nd« berichtete). Die Linksfraktion hat in einem Antrag von Mitte Mai einen verbesserten Entwurf von der Bundesregierung gefordert. Der vorliegende bleibe hinter den Möglichkeiten der EU-Richtlinie zurück und verstoße gegen EU-Recht, lautet die Kritik.
Die EU-Entsenderichtlinie beziehungsweise das Arbeitnehmerentsendegesetz regeln die Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen für ausländische Arbeitskräfte, die aus anderen EU-Mitgliedsstaaten nach Deutschland kommen, um hier zu arbeiten. Die Regelungen umfassen Bezahlung von Überstunden, Arbeitsschutz- und Sicherheitsbestimmungen sowie die Einhaltung von Antidiskriminierungsbestimmungen.
Entsandte Beschäftigte sind dabei nicht in den Arbeitsmarkt des Landes, in das sie geschickt werden, integriert. Sie arbeiten oft für den Mindestlohn und zu unwürdigen Bedingungen. Beispiele von Verstößen gegen Arbeitsschutzbestimmungen, menschenunwürdiger Unterbringung sowie bei der Auszahlung von Löhnen sind aus der Pflegebranche, der Bauwirtschaft und jüngst aus der Landwirtschaft und der Fleischindustrie hinreichend bekannt.
Das Ziel der neuen EU-Richtlinie ist in dieser Hinsicht, Lohndumping zu verhindern und für ein wenig Gleichheit innerhalb der EU zu sorgen. Mit wiederkehrenden Skandalen wuchs die Einsicht, dass die Entsenderichtlinie von 1996 dringend einer Neufassung bedurfte. Bis zur Einigung der EU-Arbeitsminister im Jahr 2017 hatten die EU-Mitgliedsstaaten lange um einen Kompromiss gerungen.
Konkret sollen für entsandte Arbeitnehmer*innen künftig die tariflichen Regeln des Landes gelten, in das sie geschickt wurden. Wenn es einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag gibt, gelten dessen Bestimmungen auch für die ausländischen Beschäftigten. Damit soll verhindert werden, dass ausländische Beschäftigte weniger verdienen als ihre inländischen Kolleg*innen. Kosten für Reise, Verpflegung und Unterbringung übernimmt künftig der Arbeitgeber, sie sollen nicht mehr den Beschäftigten vom Lohn abgezogen werden. Die Dauer der Entsendung wird auf zwölf Monate begrenzt und darf in begründeten Ausnahmefällen auf bis zu 18 Monate ausgeweitet werden. Die neuen Regelungen gelten allerdings nicht für Lkw-Fahrer*innen. Für sie soll eine eigene Richtlinie kommen. Wann das passiert, ist indes noch unklar.
Doch der Gesetzentwurf der Bundesregierung bleibt hinter dem Machbaren weit zurück, kritisieren DGB und Linksfraktion. »Das im Koalitionsvertrag formulierte Versprechen, bei der Umsetzung der Richtlinie für ›Gleichen Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort‹ zu sorgen, wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht eingelöst«, heißt es im Antrag der Linksfraktion.
Unter anderem kritisieren die Abgeordneten, dass die zwingende Anwendung von Tarifverträgen für entsendete Beschäftigte nur für bundesweit gültige allgemeinverbindliche Tarifverträge gelten soll. Doch es gibt viele regionale Branchentarifverträge. Die aber sollen erst bei der verlängerten Entsendedauer von zwölf bis 18 Monaten gelten. Für den DGB ist das ein Verstoß gegen die neue EU-Entsenderichtlinie und damit gegen Unionsrecht.
Die Gewerkschaft IG BAU bezeichnet die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Trennung von »Mindestentgeltsätze« und »sonstigen Entgeltbestandteilen«, die explizit nicht in der EU-Richtlinie vorkommt, ebenso als rechtswidrig. Die Entgeltgleichheit sei ein »zwingender Bestandteil« der EU-Richtlinie.
»Der Skandal um die miesen Arbeitsbedingungen, den wir gerade in der Fleischindustrie beobachten, ist auch in anderen Branchen, in denen Entsendung vorkommt, überhaupt nichts Neues«, sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel gegenüber »nd«. Der Gesetzgeber habe jetzt endlich die Möglichkeit, die Missstände zu beenden. »Aber er nutzt die neuen Spielräume bei der Umsetzung des EU-Rechts nur schlecht oder gar nicht«, so Piel weiter. »Wenn das Gesetz so kommt, wie von der Bundesregierung vorgeschlagen, können entsendete Beschäftigte von gleichem Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort und angemessenen Unterkünften weiter nur träumen.« Das Parlament müsse nachbessern.
»Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist in weiten Teilen missglückt und bleibt weit hinter dem rechtlich Möglichen zurück«, sagte zudem der gewerkschaftspolitische Sprecher der Linksfraktion Pascal Meiser. »Bundesarbeitsminister Heil droht eine Riesenchance zu vergeben, um grenzüberschreitendes Lohndumping wirksam zurückzudrängen und inländische Unternehmen vor Schmutzkonkurrenz zu schützen.« Für ausländische Beschäftigte müssten künftig von Anfang an alle allgemeinverbindlichen Tarifverträge gelten, von denen einheimische Beschäftigte profitieren, ganz gleich ob es sich um regionale oder bundesweite Tarifverträge handelt.
Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs, Campos Sánchez-Bordona, hat unterdessen am Donnerstag die neue Entsenderichtlinie gegen Klagen von Polen und Ungarn verteidigt. Beide Staaten hatten nach der Zustimmung durch das EU-Parlament 2018 geklagt. Sie monieren, der europäische Gesetzgeber habe seine Kompetenzen mit den in der Richtlinie enthaltenen Bestimmungen überschritten. Dem entgegnete Sánchez-Bordona, die Richtlinie sei auf einer »geeigneten Rechtsgrundlage« erlassen worden, so der österreichische »Kurier«. Auch würden die Löhne für entsandte Beschäftigte keineswegs durch die Richtlinie festgelegt. Der EU-Gesetzgeber habe im Rahmen der Verhältnismäßigkeit gehandelt.
Zuerst veröffentlicht bei “neues deutschland” online am 28. Mai 2020