Eine Milliarde Arbeitsstunden für lau

NGG startet Kampagne “#fairdient” für Bezahlung von Überstunden und fordert Erhalt des Arbeitszeitgesetzes

Von Jörg Meyer

Ein neuer Rekord: Die Beschäftigten in Deutschland leisteten im Jahr 2018 rund 2,15 Milliarden Überstunden. Die Hälfte davon wird nicht vergütet. Die Zahlen sind Teil des »Überstunden-Monitors«, den das Pestel-Institut im Auftrag der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) erstellt hat. Jeder und jede Beschäftige im Bundesgebiet leistete damit 24,9 Stunden unentgeltliche Arbeit für den Chef. In harter Währung ausgedrückt: Die Beschäftigten haben den Unternehmen im Jahr 2018 rund 25 Milliarden Euro »geschenkt«, sagte der Leiter des Instituts, Matthias Günther, am Donnerstag bei der Vorstellung der Studie in Berlin.

In Hotels und Gaststätten sind 45 Prozent aller Überstunden unbezahlt. Und das vor dem Hintergrund eines großen Anteils von Mini-Jobs in dieser Branche. Menschen die dort arbeiteten, seien auf jeden Cent angewiesen, sagte NGG-Chef Guido Zeitler. Besonders aktuell in der Sommersaison würden diese Beschäftigten zu Überstunden gedrängt, obwohl ihr 450-Euro-Job keine Extra-Verdienste zulasse. Im Ergebnis verfallen viele Überstunden oder werden schwarz bezahlt.

Das Gastgewerbe sticht in einigen Punkten besonders aus den Statistiken heraus. Insgesamt arbeiten im Gastgewerbe bundesweit rund 1,7 Millionen Menschen, knapp zwei Drittel davon in sozialversicherungspflichtigen Jobs in Vollzeit oder Teilzeit. Und über ein Drittel der Beschäftigten arbeitet in prekären Verhältnissen oder nimmt die Arbeit in der Hotel- und Gastrobranche als Nebenjob an. Während branchenübergreifend insgesamt 13 Prozent der Beschäftigten ausschließlich eine geringfügige Beschäftigung haben, sind dies im Gastgewerbe fast 37 Prozent.

NGG-Chef Guido Zeitler mit BetriebsrätInnen beim Fototermin am 27. Juni 2019 Foto: NGG/Tobias Seifert

Vor diesem Hintergrund gab die NGG am Donnerstag den Startschuss für ihre Kampagne »fairdient«. Das Ziel ist, den rund 1,7 Millionen Angestellten im Hotel- und Gaststättengewerbe »öffentlich eine Stimme zu geben«, teilte die Gewerkschaft mit. Denn neben den Überstunden stünden diese vor einem weiteren drohenden »Aderlass«. Der Arbeitgeberverband DEHOGA dränge die Bundesregierung unablässig, das Arbeitszeitgesetz zu schleifen, Höchstarbeitszeiten pro Tag zu verlängern und Arbeitszeiten »flexibler« zu machen.

Doch aus Sicht der NGG und ihrer Schwestergewerkschaften ist das weder nötig noch hinnehmbar. »Das Arbeitszeitgesetz ist ein Schutzgesetz«, betonte Zeitler mit Verweis auf sattsam bekannte Studien, dass zu viel Arbeit krank macht.

Anita Tisch von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA) hat die Arbeitsbedingungen in der Gastrobranche untersucht. Ihre Ergebnisse untermauern die Zahlen aus dem »Überstunden-Monitor« und können Erklärungen dafür liefern. So arbeiten 41 Prozent der Beschäftigten im Gastgewerbe in Teilzeit, in der Gesamtwirtschaft sind das 23 Prozent. Zudem arbeiten 86 Prozent auch an Wochenenden (insgesamt: 45 Prozent) und 76 Prozent zu atypischen Zeiten (insgesamt: 26 Prozent), also beispielsweise nachts. Diese Zahlen hatte die Bundesanstalt 2017 in einer Beschäftigtenbefragung unter rund 9500 Personen erhoben.

Die Folgen: Beschäftigte im Gastgewerbe klagen häufiger über psychosomatische Beschwerden wie Rücken- oder Kopfschmerzen, Schlafstörungen oder Erschöpfung, berichtete Anita Tisch. Auch die BAUA erteilt dem Bestreben, das Arbeitszeitgesetz aufzuweichen, eine klare Absage. Das Gesetz diene dem Gesundheitsschutz und der Sicherheit der Beschäftigten. Denn erwiesen sei auch, dass ab einer bestimmten Stundenzahl auf Schicht das Unfallrisiko stark ansteigt. Zudem sei eine Flexibilisierung schon jetzt hinreichend gegeben.

Auf der Homepage der am Donnerstag gestarteten Kampagne könnten Beschäftigte Kommentare zu ihren (unfairen) Arbeitsbedingungen hinterlassen. Es gehe darum, den gut 1,7 Millionen Beschäftigten im Hotel- und Gaststättengwerbe eine öffentliche Stimme zu geben, teilet die NGG mit. Erste Texte fanden sich am Donnerstagabend bereits auf der Seite.

Zuerst erschienen bei “nd-online.de” am 27. Juni 2019.