Von Jörg Meyer
„Die Eigenanteile für die Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung sind erneut deutlich gestiegen.“ Dieser Satz war in den letzen Jahren regelmäßig dann zu lesen, wenn ein Forschungsinstitut oder Kassenverband die neuen Zahlen vorstellte. So auch in diesem Sommer.
Anfang Juli 2024 stellte der Verband der Ersatzkassen (vdek) seine aktuellen Berechnungen vor (s. S. 9). Danach zahlen Pflegebedürftige in der Bundesrepublik durchschnittlich für das erste Jahr im Heim 2871 Euro aus eigener Tasche dazu, 211 Euro mehr als 2023. Im zweiten Jahr liegt der Eigenanteil bei 2620 Euro, 233 Euro mehr als im Vorjahr.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kündigte angesichts der Entwicklung im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio im Juli die Möglichkeit einer Obergrenze an. So sagte er, wenngleich vage: „Wir müssen dazu kommen, dass wir vielleicht mit einer Obergrenze für den Eigenanteil arbeiten. Das prüfen wir derzeit.“ Im Herbst wolle er eine Lösung vorlegen.
Die Präsidentin des Sozialverband Deutschland SOVD, Michaela Engelmeier, warnte in einem Interview vor „sozialem Sprengstoff ungeahnten Ausmaßes“. Der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagt sie, ihr sei „schleierhaft“, wie Lauterbach seine Ideen umsetzen wolle, denn „im Haushalt 2025 ist dafür gar nichts vorgesehen“.
Die Private Krankenversicherung machte ihrerseits mobil gegen die noch nicht näher konkretisierten Pläne des Ministers. Deren Wissenschaftliches Institut (WIP) rechnete beispielhaft die Kosten bei einer Deckelung bei 700 Euro und bei 1000 Euro monatlich aus. Ergebnis: Zwischen sieben und 18 Milliarden Euro pro Jahr könnte eine Obergrenze bei den Eigenanteilen bis 2030 kosten. Wer das übernimmt, Steuerzahler:innen oder die Beitragszahler:innen, ist bislang unklar.
Die Eigenbeteiligung für die stationäre Unterbringung in einem Pflegeheim setzt sich zusammen aus den Kosten für Unterbringung und Verpflegung, den Investitionskosten sowie dem einrichtungseinheitlichen Eigenanteil (EEE), der in erster Linie die Kosten für das Pflegepersonal abbildet.
Eingeführt wurde der EEE im Jahr 2017 mit der Neufassung des § 84Abs. 2 SGB XI. Das Bundesgesundheitsministerium rechnete optimistisch mit voraussichtlich 580 Euro im Monat.1 Die Realität sah bald anders aus. Für 2017 bezifferte das Wissenschaftliche Institut der AOK (WidO) den Eigenanteil auf 1752 Euro und im Jahr 2021 lag er bei durchschnittlich 2233 Euro.
Zurecht forderte der SoVd in einer Stellungnahme am 12. Juli2, die Länder müssten wie vereinbart die Investitionskosten übernehmen. Auch Lauterbach hatte gegenüber der ARD gesagt: „Die Länder machen da zu wenig. Das fällt so auf die Füße der Versicherten, der zu Pflegenden.“ Im Bundesdurchschnitt stiegen die Investitionskosten laut WidO von 426 Euro im Jahr 2017 auf 475 Euro im Jahr 2023. Diesem Anstieg von zwölf Prozent stand im gleichen Zeitraum ein Anstieg des einrichtungseinheitlichen Eigenanteils um 115 Prozent von 616 Euro monatlich auf 1325 Euro durchschnittlich jeden Monat gegenüber.
Was nicht geholfen hat, waren die mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz im Sommer 2021 beschlossenen Senkungen der Eigenbeteiligungen – um 5 Prozent im ersten Jahr, 25 Prozent im zweiten und 45 Prozent im dritten Jahr der Heimunterbringung. Die Verbände und Gewerkschaften hatten das Vorhaben vom damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) als „Mogelpackung“, „Pflegereförmchen“, und „zahnlosen Tiger“ kritisiert und sollten Recht behalten.3
Den größten Anteil am EEE machen die Personalkosten aus, und die Löhne in der Altenpflege sind seit 2015 im Mittel um 53 Prozent gestiegen. Der Schluss liegt deshalb nah, dass die Kosten für einen aus Sicht der Beschäftigten guten Tarifabschluss direkt an die Versicherten weitergegeben werden. Zudem monieren die Beschäftigten zu Recht die Arbeitsbedingungen, und die Belastung oder verlassen gleich in Scharen die Branche. Die Zahl der fehlenden Fachkräfte könnte nach Berechnung des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2039 bei 690.000 liegen. Schon jetzt dauert es im Schnitt 112 Tage, bis eine offene Stelle in einem Heim besetzt ist, kommentierte die „Zeit“ am 24. Juli und beschrieb weiter, dass Pflegeheime immer mehr auf Leiharbeitskräfte setzen müssten, um nicht ganze Bereiche schließen zu müssen. Die aber kosten mehr als Festangestellte – und so steigen die Kosten für die Versicherten immer weiter. Nach der oben erwähnten Berechnung des WIP könnten sie im ersten Jahr der Unterbringung im Jahr 2029 bei 3142 Euro liegen. Ein schwer zu durchbrechender Kreislauf.
Letztlich ist die Idee einer Obergrenze bei den Eigenbeteiligungen eine überfällige Idee. Es muss eine Lösung gefunden werden, um die finanzielle Last von Pflegebedürftigen zu nehmen, und die Länder müssen sich ausreichend an den Investitionskosten beteiligen. Der Gesundheitsminister muss aufpassen, dass am Ende eine Obergrenze dabei herauskommt, die auch wirklich etwas bringt. Er darf sich nicht für ein bisschen Obergrenze als Gegenleistung beispielsweise einen verpflichtenden Ausbau der privaten Vorsorge in einen Gesetzentwurf verhandeln lassen. Denn damit wäre niemandem geholfen.
Zuerst veröffentlicht in SozSich 8-9/2024, S. 3ff.
www.bund-verlag.de/zeitschriften/soziale-sicherheit
- Nakielski, Hans; Winkel Rolf: Die Neuregelungen bei der vollstationären Pflege – Umzug ins Heim wird finanziell unattraktiver, in: SozSich 1/2017, S. 21f f. ↩︎
- www.sovd.de/aktuelles/meldung/kommt-die-obergrenze-beim-eigenanteil-in-der-pflege (abgerufen am 25. 7. 2024). ↩︎
- Meyer, Jörg: Kabinett einigt sich auf Pflegereform – Gewerkschaften und Verbände kritisieren Entwurf, in SozSich 6/2021, S. 238f f. ↩︎