Krankschreibungen im dritten Pandemiejahr gestiegen – psychische Erkrankungen auf Höchststand 

Von Jörg Meyer

Die Folgen der Corona-Pandemie schlagen sich in den Statistiken nieder. Mehrere Krankenkassen zeigen in ihren aktuellen Auswertungen der Zahlen zum Krankenstand teils drastische Anstiege im zweiten Halbjahr 2022. Während in dem Jahr Muskel-Skelett-Erkrankungen nach wie vor Platz eins in der Rangliste belegen, ist auch ein erneuter Höchstwert bei den psychischen Erkrankungen zu verzeichnen.

Mehrere Krankenkassen meldeten unlängst neue Höchststände bei den Fehltagen ihrer Versicherten. So war in einer Pressemitteilung der DAK Gesundheit vom „höchsten Krankenstand seit einem Vierteljahrhundert“ die Rede. In einer Auswertung der Fehltage ihrer rund 2,4 Millionen Versicherten kam die DAK für das Jahr 2022 auf einen Krankenstand von 5,5 Prozent. Im Durchschnitt fehlten die Beschäftigten 20 Tage krankheitsbedingt auf Arbeit – rund 5,5 Tage mehr als 2021. Verantwortlich seien demnach die Atemwegserkrankungen wie Erkältungen und Bronchitis, deren Zahl um 172 Prozent angestiegen sei. 

Laut DAK fehlten im Jahr 2022 insgesamt rund 64 Prozent der Beschäftigten wenigstens einmal mit einer Krankschreibung bei der Arbeit. „Hochgerechnet auf alle Erwerbstätigen in Deutschland ergibt sich ein Plus von rund 250.000 Fehltagen“, heißt es in der Presseerklärung zum aktuellen DAK-Gesundheitsreport weiter.1

Die Zahl der Muskel-Skelett-Erkrankungen stieg den Angaben zufolge um fünf Prozent an. Bei den psychischen Erkrankungen meldete die DAK mit 301 Fehltagen je 100 Versicherte im Jahr 2022 einen neuen Höchststand. Laut DAK liegt diese Zahl 48 Prozent über dem Niveau von vor zehn Jahren. Den stärksten Anstieg verzeichnete die Krankenkasse bei jungen Beschäftigten zwischen 25 und 29 Jahren mit 24 Prozent plus bei den Frauen und 29 Prozent mehr Krankschreibungen bei den gleichaltrigen Männern. Die meisten Ausfälle wegen psychischer Erkrankungen hatte danach das Gesundheitswesen vor dem öffentlichen Dienst zu verzeichnen.

Abbildung 1: Anteile am Krankenstand
Jahr 20222021
1.Atmungssystem (19,9 %)1.Muskel-Skelett-System (23,2 %)
2.Muskel-Skelett-System (17,7 %)2.Psychische Erkrankungen (19,0 %)
3.Psychische Erkrankungen (15,1 %)3.Verletzungen u. Vergiftungen (12,4 %)
4.Äußere Ursachen und Faktoren* (10,2 %)4.Atmungssystem (10,1 %)
5.Verletzungen u. Vergiftungen (9,6 %)5.Unspezifische Symptome (4,9 %)
6.Infektionen (5,2 %)6.Äußere Ursachen und Faktoren* (4,6 %)
7.Unspezifische Symptome (5,1 %)7.Verdauungssystem (4,6 %)
8.Nervensystem, Augen, Ohren (3,6 %)8.Neubildungen (4,5 %)
9.Verdauungssystem (3,6 %)9.Nervensystem, Augen, Ohren (4,4 %)
10.Neubildungen (3,2 %)10.Kreislaufsystem (4,1 %)
11.Kreislaufsystem (3,1 %)11.Infektionen (3,5 %)
Bei der mit einem Sternchen* versehenen Gruppe handelt es sich um ein Sammelbecken für weitere Diagnosen (U00-Z99), zu denen auch Corona gehört und weit über die Hälfte ausmacht.

Gemessen an den Branchen gibt es laut DAK den höchsten Krankenstand mit 6,4 Prozent im Gesundheitswesen. Das entspricht im Schnitt 23,5 Fehltagen pro Jahr. Den niedrigsten Krankenstand haben Beschäftigte in der Datenverarbeitungsbranche mit 3,5 Prozent und durchschnittlich 12,8 Fehltagen. „Dieser Rekord-Krankenstand ist alarmierend und sollte ein Weckruf für die Wirtschaft sein“, sagte der Vorstandsvorsitzende der DAK Gesundheit, Andreas Storm. Zwar habe die Pandemie durch den deutlichen Rückgang der schweren Verläufe ihren Schrecken verloren. „Der hohe Krankenstand zeigt aber die massiven Auswirkungen auf die Arbeitswelt.“ 

Ein Teil der gestiegenen Zahlen dürfte auf die Einführung der elektronischen Krankschreibungen zurückzuführen sein, hieß es sowohl von der DAK als auch vom Berliner IGES-Institut, das die Auswertung der Zahlen im Auftrag der DAK durchgeführt hat. Es tauchten danach nun auch viele Fälle in der Statistik auf, die vorher nicht erfasst werden konnten, weil die gelben Scheine bei den Arbeitnehmer:innen liegen blieben. Andreas Storm: „Durch die elektronische Krankmeldung haben wir eine wesentlich geringere Dunkelziffer und einen noch schärferen Blick auf den wirklichen Krankenstand.“ 

Die AOK analysierte ihrerseits die Fehlzeiten von insgesamt rund 15,6 Millionen Versicherten zwischen Januar und Juli 2022. Insgesamt kam die AOK auf einen Krankenstand von 6,6 Prozent gegenüber 5,1 Prozent im Vorjahr. Atemwegserkrankungen stehen auch hier auf Platz eins mit 28,8 Prozent der Erwerbstätigen mit mindestens einer Krankschreibung; gefolgt von Muskel-Skelett-Erkrankungen (15,8 Prozent), Verletzungen (7,9 Prozent).2

Die Barmer hat insgesamt rund 8,8 Millionen Versicherte und meldete, dass es im Jahr 2022 jeden Monat mehr Krankschreibungen als im jeweiligen Monat des Vorjahres gegeben habe. Die Zahl der Krankschreibungen ist laut der Auswertung der Barmer ab August 2022 steil angestiegen. Der Bundesdurchschnitt erreichte im Dezember 2022 mit 231 Krankschreibungen je 1000 Versicherte den Höchststand. Sachsen-Anhalt lag mit 268 je 1000 Beschäftigte an der Spitze im Ländervergleich, Bayern mit 202 Krankschreibungen je 1000 Beschäftigte auf dem letzten Platz (S. Abb. 2). 

Abbildung 2

Hohe Zahl an Corona-bezogenen Fehltagen

Die Auswertung der AOK blickt auch auf die Krankschreibungen aufgrund von Erkrankungen in Verbindung mit COVID-19 in den vergangenen rund 30 Monaten – also vom 1. März 2020 bis 31. Juli 2022. Danach haben rund 1,8 Millionen durchgängig bei der AOK Versicherte aufgrund einer akuten COVID-19-Infektion auf Arbeit gefehlt; mit 22,5 Prozent mehr als jede und jeder fünfte Beschäftigte seit Beginn der Pandemie. Im Durchschnitt fehlten die erkrankten Beschäftigten 9,5 Tage. 3,8 Prozent waren nach der Auswertung der Diagnosen auf den Krankschreibungen im weiteren Verlauf von Long-COVID oder Post-COVID betroffen. Ingesamt waren dies rund 68.000 Beschäftigte, die seit Beginn der Pandemie im Durchschnitt 47,4 Tage in ihre Betrieben fehlten. 

Die DAK Gesundheit hatte bereits im August 2022 die Zahlen für das erste Halbjahr vorgelegt und einen starken Anstieg der Corona-bedingten Fehltage gegenüber 2021 gemeldet. Danach kamen auf 100 Versicherte 64 Fehltage im ersten Halbjahr 2022 – gegenüber 12 Fehltagen im ersten Halbjahr 2021. Die DAK stellte in ihrer Analyse besonders die starken regionalen Unterschiede heraus. Während bei Spitzenreiter Mecklenburg-Vorpommern fast 92 Fehltage je 100 Versicherte gemessen wurden, sowie in Thüringen und Brandenburg 88 beziehungsweise 86 Fehltage, waren es in Nordrhein-Westfalen deutlich weniger. Bayern hatte mit 84 Fehltagen den höchsten Ausfall im Westen, die letzten Plätze im Bundesländervergleich belegten Bremen und Hamburg mit je 41 Fehltagen je 100 Versicherte. 

Die Barmer meldete für 2022 einen deutlich höheren Anteil an Krankschreibungen mit Corona-Bezug als noch im Jahr davor. „Während im Juli 2021 nur 0,9 Prozent aller Krankschreibungen einen Corona-Bezug hatten, lag der Anteil im Juli 2022 bei 20,2 Prozent und damit um das 22-Fache höher“, hieß es in der Mitteilung. Den geringsten Unterschied beim Corona-Bezug gab es zwischen November 2021 und November 2022 mit 5,5 beziehungsweise 7,2 Prozent aller Krankschreibungen (S. Abb. 1). 

Männer holen bei psychischen Erkrankungen auf

„Die starken Auswirkungen der Corona-Krise auf die Psyche von Berufstätigen bilden sich nun offenbar in den Statistiken ab.“ Zu dem Schluss kommt die Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) auf Basis der Krankschreibungszahlen ihrer rund 1,6 Millionen Versicherten. Während sich danach im ersten und zweiten Jahr der Pandemie kaum Veränderungen zeigten, seien diese im dritten Pandemiejahr 2022 deutlich zutage getreten. Die KKH hat im vergangenen Jahr rund 57.500 Krankschreibungen mit ingesamt 

Abbildung 3

Abbildung 4

2,3 Millionen Fehltagen wegen „seelischer Leiden“ registriert, teilte die Kasse Ende Februar mit. Die Mehrheit der Diagnosen auf den Krankschreibungen in Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen machen mit 30 Prozent depressive Episoden am Arbeitsplatz aus, knapp gefolgt von depressiven Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen. Knapp 15 Prozent der Krankheitstage entfielen auf wiederkehrende Depressionen, etwas über 12 Prozent auf chronische Erschöpfung und rund 8 Prozent auf Angststörungen3 (S. Abb. 3). 

Abbildung 5

Besonders auffällig ist nach Angaben der KKH, dass die Corona-Krise Männern stärker aufs Gemüt zu schlagen scheint als Frauen. Insgesamt litten den Angaben zufolge nach wie vor insgesamt deutlich mehr Frauen unter psychischen Erkrankungen. Doch als Folge der Corona-Pandemie seien die Zahlen bei Männern stark gestiegen. Ihr Anteil an den psychischen Erkrankungen liege mittlerweile bei fast 34 Prozent, bei Frauen bei rund 66 Prozent. Dieses Verhältnis habe im ersten Pandemie-Jahr 2020 noch bei 31 zu 69 Prozent gelegen. 

Zur Erklärung schreibt die KKH, dass die Männer besonders unter den Einschränkungen während der Pandemie gelitten hätten. Konkret hätten sie „ihre körperliche Aktivität auf ein Minimum reduziert, die vorher im Vereins- bzw. Mannschaftssport eingebunden waren, etwa beim Fußball oder Handball“. „Der dadurch entstandene Bewegungsmangel und der fehlende soziale Austausch scheinen sich nachhaltig negativ auf die Psyche, also auf Antrieb und Motivation und die allgemeine Stimmungslage ausgewirkt zu haben“, sagte die KKH-Arbeitspsychologin Antje Judick. 

Doch ein erneuter Anstieg der Fallzahlen bei Frauen während der Pandemie fällt vermutlich nicht so stark auf, da bei Frauen die Zahl der psychischen Erkrankungen ohnehin seit Jahren auf einem Höchststand ist. 

Besonders bei Krankschreibungen von Männern aufgrund von Angstörungen sei der Anstieg signifikant: Während im Jahr 2022 40 Prozent mehr Atteste von Arbeitnehmern registriert wurden, waren es bei ihren Kolleginnen 19 Prozent. Bei somatoformen, also körperlichen Beschwerden, die keine direkt nachweisbaren organischen Ursachen haben, sind die Zahlen zwar insgesamt niedriger, der Unterschied mit 22 Prozent Anstieg bei Männern und sechs Prozent bei Frauen jedoch noch deutlicher. 

Zuerst veröffentlicht in SozSich 3/2023, S. 106ff.
www.bund-verlag.de/zeitschriften/soziale-sicherheit


  1. Die zitierte Pressemitteilung und weitere Informationen zum Gesundheitsreport finden Sie unter www.dak.de/dak/bundesthemen/gesundheitsreport-2091018.html# (abgerufen am 28. 2. 2023).  ↩︎
  2. Der aktuelle Fehlzeitenreport 2022 der AOK unter www.aok.de/fk/betriebliche-gesundheit/grundlagen/fehlzeiten/ueberblick-fehlzeiten-report (abgerufen am 28. 2. 2023). ↩︎
  3. Zu den Arbeitsbedingungen und Belastungen im Gesundheitssystem während der Corona-Pandemie s. besonders das Titelthema „Wer pflegt die Pflegenden“, in: SozSich 2/22, S. 53 ff.  ↩︎