Ein Jahr Job-Turbo – Was hat es gebracht?

Von Jörg Meyer

Ein Jahr ist der sogenannte Job-Turbo, ein Maßnahmenpaket der Bundesregierung, um Geflüchtete in Arbeit zu bringen, nun in Kraft. Hat es funktioniert? Die Beschäftigungsquote bei Ukrainer:innen steigt, aber langsam. Die Gründe dafür haben nicht nur mit dem Job-Turbo zu tun. Eine Bestandaufnahme.

Der Beginn des Überfalls Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat die größte Fluchtbewegung in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs ausgelöst. Nach Zahlen des UN-Flüchtlingskommisariats UNHCR waren Anfang September dieses Jahres insgesamt rund zehn Millionen Ukrainer:innen auf der Flucht, rund 3,67 Millionen innerhalb der Ukraine, über 6,751 Millionen in anderen Ländern. Knapp 6,2 Millionen haben in europäischen Staaten Schutz gefunden. Deutschland ist laut den Zahlen des UNHCR der EU-Mitgliedsstaat, in dem die meisten ukrainischen Geflüchteten leben; aktuell sind es rund 1,1 Millionen.2

ABBILDUNG 1
Eckwerte ausgewählter Kennzahlen für ukrainische Staatsangehörige
Quelle: Rohdatenauszählung Ausländerzentralregister (AZR), Statistik der Bundesagentur für Arbeit

Die Bundesregierung hatte angesichts der hohen Fluchtzahlen schnell reagiert und Erleichterungen beim Aufenthaltsrecht und bei Arbeitserlaubnissen für ukrainische Geflüchtete umgesetzt. Zudem können die Menschen aus der Ukraine Leistungen nach SGB II beziehen (Bürgergeld) statt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.3

Da sich wegen des andauernden Krieges und der Ungewissheit, wann dieser endet, immer mehr Menschen dafür entscheiden, längerfristig in Deutschland zu bleiben, traten Fragen nach ihrer Integration und Arbeitsmarktintegration in den Vordergrund. Im Oktober 2023 stellte Bundesarbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) darum den sogenannten Job-Turbo vor, ein Programm, mit dem Geflüchtete mit Bleibeperspektive schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden und gleichzeitig Deutsch lernen sollten. Arbeit ist nach verbreiteter Ansicht der beste Weg für eine gesellschaftliche Integration. Gemeint waren mit dem Job-Turbo im Prinzip Geflüchtete aus allen Herkunftsländern, davon profitieren konnten in erster Linie Menschen aus der Ukraine. 

In der Bundespressekonferenz erläuterte Heil damals zusammen mit der Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit (BA), Andrea Nahles, und dem zum Beauftragten der Bundesregierung für die Arbeitsmarktintegration berufenen BA-Vorstand Regionen Daniel Terzenbach die Pläne. Gefordert waren besonders die Jobcenter, sie sollten die Geflüchteten eng begleiten und betreuen und überdies in Zusammenarbeit mit Unternehmen Arbeitsplätze für sie finden. Terzenbach kümmerte sich unter anderem verstärkt darum, Unternehmen etwa über Veranstaltungen und Job-Messen dazu zu gewinnen, vermehrt Geflüchtete einzustellen. 

Den Geflüchteten stehen zudem die Fördermöglichkeiten nach SGB II und SGB III zur Verfügung. Dazu zählen beispielsweise Maßnahmen zur Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit (§ 16d SGB II), Beschäftigungsförderung über Entgeltzuschüsse an Arbeitgeber (§ 16e SGB II), Kommunale Eingliederungsleistungen wie etwa Kinderbetreuung, Schuldnerberatung, psychosoziale Betreuung oder Suchtberatung (§ 16a SGB II) sowie Bildungsgutscheine für Fort- und Weiterbildungen (§§ 82 ff. SGB II). Da im SGB II neben dem „Fördern“ jedoch das „Fordern“ eine Rolle spielt, hatte Heil bei der Vorstellung des Job-Turbo auch auf die Pflicht der Geflüchteten verwiesen, eine angebotene Arbeit in der Regel annehmen zu müssen. Sonst drohten Leistungskürzungen. Mehr Geld für die chronisch unterfinanzierten Jobcenter war mit dem Job-Turbo nicht verbunden. 

Die Kritik an der Maßnahme ließ nicht lange auf sich warten. Die Opposition bemängelte fehlende Sprachkurse. Da müsse mehr Geld ausgegeben werden, damit Heils Pläne funktionieren können, hieß es aus der CDU. BA-Chefin Andrea Nahles begrüßte zwar die Pläne, aber „Stand heute reicht das Geld nicht“, sagte sie gegenüber der Tagesschau am 19. Oktober 2023. „Da habe ich wirklich den Appell, dass wirklich noch eine Schippe oben drauf gelegt wird. Sonst wird es schwieriger als es gut wäre.“ 

Eine andere Kritik lautete, der Druck hohe Vermittlungszahlen zu generieren, könnte zu einem Ungleichgewicht in der Behandlung von Geflüchteten führen. Weil: Die aus der Ukraine nach Deutschland geflüchteten Menschen haben durchschnittlich höhere Abschlüsse als Personen aus den anderen häufigsten Herkunftsländern. Das könnte zu einer Bevorzugung derer führen, die eine höhere Vermittlungschance haben. 

Ukrainische Arbeitskräfte in Deutschland vor und nach Kriegsbeginn

Dass kurz nach Kriegsbeginn so viele Menschen nach Deutschland kamen und bald eine Arbeit aufnehmen wollten, war neu auf dem hiesigen Arbeitsmarkt. In der Arbeitsmigration von Menschen aus sogenannten Drittstaaten – Staaten die nicht Mitglied der Europäischen Union sind – spielten Ukrainer:innen davor eine untergeordnete Rolle. Die Bundesagentur für Arbeit stimmte im Jahr 2016 in rund 215.045 Fällen der Arbeitsaufnahme von insgesamt 215.045 Personen in Deutschland zu. Davon kamen 4893 Personen aus der Ukraine (2,3 Prozent). Im Jahr 2021 waren dies 3,0 Prozent. Die Ukraine gehörte damit nicht zu den zehn wichtigsten Herkunftsländern der Personen, die zum Stichtag 2016 in Deutschland lebten. Der wichtigste Grund für Ukrainer:innen, nach Deutschland zu kommen, war vor dem Krieg der Familiennachzug. Flucht- oder Asylmigration aus der Ukraine gab es nahezu gar nicht. Im Migrationsbericht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge von 2021 war die Ukraine nicht als eigenes Herkunftsland ausgewiesen.4

Für ukrainische Arbeitskräfte ohne formale Qualifikation gab es im Wesentlichen zwei Wege in den Arbeitsmarkt: im Rahmen von Ferienjobs und fachbezogenen Praktika für Studierende oder mit der Entsendung über andere EU-Länder wie hauptsächlich Polen.5 Sowohl bei Entsendungen als auch bei den Ferienbeschäftigungen und Praktika drohten viele ukrainische Arbeitskräfte in prekärer Beschäftigung zu landen. Die Hauptgründe dafür sind mangelnde Sprachkenntnisse, Unkenntnis über das deutsche Arbeits- und Sozialrecht sowie eine geringe finanzielle Ausstattung. Dazu kommt eine Angst aus Unkenntnis über aufenthaltsrechtliche Bestimmungen. „Bei Verstößen der Arbeitgebenden oder der Agenturen gegen arbeits- und sozialrechtliche Standards oder vertragliche Abreden zögern die Betroffenen, dagegen vorzugehen, weil sie befürchten, dass sie dann Deutschland verlassen müssen und ggf. auch nicht wieder einreisen können.“6

Seit dem 24. Februar 2022 hat sich das Meiste davon radikal geändert. Vor dem Hintergrund der erwarteten Flucht von Millionen von Menschen aus der Ukraine hatte der EU-Rat die 2001 beschlossene Massenzustromrichtlinie7 erstmals aktiviert. Damit hatten Ukrainer:innen in den EU-Mitgliedsstaaten als Kriegsflüchtlinge subsidiären Schutz und Zugang zum Arbeitsmarkt. Im Juni beschloss das Bundeskabinett, dass diese Gruppe von Geflüchteten aus dem Asylbewerberleistungsgesetz in die Systeme der Grundsicherung wechseln, also Bürgergeld beantragen konnten. 

Doch zunächst führte das nicht zum gewünschten Erfolg, die Beschäftigungsquote blieb niedrig, der Ansturm der gut ausgebildeten ukrainischen Arbeitskräfte in den deutschen Arbeitsmarkt ließ auf sich warten. Um dem Abhilfe zu schaffen, rief Hubertus Heil den Job-Turbo aus. 

Eine Bilanz des Job-Turbo nach einem Jahr

Ein Jahr nach der Einführung des Job-Turbo war es Zeit, Bilanz zu ziehen. Das BMAS stellte auf seiner Homepage fest: „Der Job-Turbo wirkt.“ Stimmt das oder wirkt der Job-Turbo erst in Zukunft? 

Aus den Gewerkschaften, die den Job-Turbo von Anfang an unterstützten, kamen Anmerkungen, dass es nicht darum gehen könne, möglichst schnell in irgendeine Arbeit zu vermitteln, sondern idealweise in eine zur Qualifikation passende gute und tariflich abgesicherte Arbeit. Ein Weg dorthin geht über den Spracherwerb. 

So kritisierte etwa der DGB in Sachsen-Anhalt im April die Vermittlung von hoch qualifizierten Ukrainer:innen in die Kühlhäuser vom Lieferdienst „Hallo Fresh“. Dieser zeichnet sich in erster Linie durch harte Arbeitsbedingungen, Leiharbeit und keinen Betriebsrat oder Tarifvertrag aus. Es dürfe „nicht allein auf Schnelligkeit ankommen. Ziel muss die Aufnahme in stabile, sozialversicherungspflichtige Arbeit sein“, sagte die sachsen-anhaltinische DGB-Chefin Susanne Wiedemeyer. Aus Beratungsstellen für Geflüchtete waren dem Vernehmen nach Erfahrungen zu hören, dass die Geflüchteten nicht wussten, ob sie überhaupt parallel zur Arbeit einen Sprachkurs belegen dürfen. Teilweise hätten Arbeitgeber ihren Beschäftigen gesagt, dass sie nicht für einen besseren Arbeitsplatz oder eine Weiterbildung kündigen dürften, weil ebenfalls Sanktionen oder Sperrzeiten drohten. 

Eine weitere Kritik ist, dass mit dem Job-Turbo gezielt eine bestimmte Gruppe von Bürgergeld beziehenden Menschen, nämlich Geflüchtete aus der Ukraine, unter Druck gesetzt werden, eine Arbeit anzunehmen. 

In der Oktoberausgabe von „Abeitsmarkt kompakt“8 heißt es: „Die Zahl der bei Jobcentern und Arbeitsagenturen gemeldeten erwerbsfähigen Ukrainerinnen und Ukrainer hat sich von Februar 2022 bis Oktober 2024 um 511.000 auf 531.000 erhöht.“ Die Zahl stagniere seit einem halben Jahr bei 530.000. Im August 2024 gingen auf der anderen Seite 221.000 Ukrainer:innen einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nach. Zusätzlich gingen 51.000 einer ausschließlich geringfügigen Arbeit nach und 715.000 bezogen Leistungen der Grundsicherung. 101.000 nicht arbeitslos gemeldete Ukrainer:innen nahmen überdies im Oktober 2024 an Integrationskursen teil. 

Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung meldete am 24. Oktober, die Erwerbstätigenquote unter den geflüchteten Ukrainer:innen habe sich von 16 Prozent im Sommer 2022 auf 30 Prozent im Frühjahr 2024 fast verdoppelt. Das ist zunächst eine gute Nachricht, blickt man jedoch beispielsweise nach Dänemark mit einer Beschäftigungsquote von rund 70 Prozent, kommt die Frage auf, woran es liegt, dass hierzulande die Arbeitsmarktintegration nicht wie gewünscht mit einem Turbo vorankommt. Was sind dafür die Gründe? 

Geflüchtete auf dem Arbeitsmarkt

Ulrich Walwei ist Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit und Honorarprofessor für Arbeitsmarktforschung an der Uni Regensburg. Vor dem Ausschuss für Soziales, Jugend und Familie der Stadt Bielefeld nannte er in einem Vortrag im Oktober 2024 als Einflussfaktoren auf die Arbeitsmarktintegration 

  • arbeitsmarktrelevante Ressourcen wie Qualifikationen durch Schule, Ausbildung oder Berufserfahrung (Humankapital), 
  • die schlechte Vorbereitung auf die Migration und damit verbundene traumatische Erfahrungen sowie gesundheitliche Risiken, 
  • persönliche Faktoren wie den Familienstatus und eventuell zu leistende Sorge- oder Betreuungsarbeit sowie die berufliche Tätigkeit vor der Migration. 

Zudem wird aus Zahlen der gemeinsamen Befragung unter Geflüchteten von IAB, BAMF- und SoeP zwischen 2016 und 2022 deutlich, dass die Arbeitsmarktintegration zunächst langsam verläuft und mit längerer Aufenthaltsdauer deutlich an Fahrt aufnimmt. So lag die Beschäftigungsquote der befragten Geflüchteten im ersten Jahr bei neun Prozent und nach acht Jahren bei 86 Prozent. Die Verzögerung liegt beispielsweise zunächst am eingeschränkten Arbeitsmarktzugang während des Asylverfahrens (trifft auf Ukrainer:innen nicht zu) oder am späten Beginn von Sprach- und Integrationskursen. 

Zudem wies die Befragung ein deutliches Gendergefälle aus: Während nach acht Jahren in Deutschland 86 Prozent der Männer erwerbstätig waren, galt das nur für ein Drittel der Frauen. Gründe liegen hier beispielsweise in einer hohen Kinderzahl bei gleichzeitig begrenzten Betreuungsangeboten oder Unterschieden in Bildung und Ausbildung. Nichtsdestotrotz war auch hier die Erwerbstätigenquote über die Jahre stark gestiegen: von 3 Prozent auf 33 Prozent. 

Mit der Aufenthaltsdauer steigt das Anforderungsniveau der ausgeübten Tätigkeiten: Die Zahl der Praktika und Ausbildungen sinkt, der Anteil der Vollzeitbeschäftigten sowie der Geflüchteten, die eine qualifizierte Tätigkeit ausüben (70 Prozent nach sechs Jahren), nimmt zu. Einerseits steigen dadurch die Bruttomonatsverdienste mit zunehmender Aufenthaltsdauer. Andererseits verdiente sechs Jahre nach Ankunft noch immer die Mehrheit der Geflüchteten unterhalb der Niedriglohnschwelle. 

Bald nach Beginn des Krieges haben das IAB, das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB), das Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) und des Sozio-oekonomische Panel (SOEP) am DIW Berlin begonnen, das Ankommen, die Lebensumstände und Zukunftspläne der ukrainischen Geflüchteten zu untersuchen. Die Ergebnisse der ersten Befragungswelle wurden im Februar 2023 veröffentlicht.9 Blickt man dabei auf die Erwerbstätigenquote der ukrainischen Geflüchteten, zeigen sich Parallelen. Auch hier ist ein deutlicher Anstieg der Erwerbstätigenquote mit länger werdender Aufenthaltsdauer zu verzeichnen. 

Bei den Ukrainer:innen auf dem deutschen Arbeitsmarkt zeigt sich eine ähnliche Entwicklung. Die Kurve zeigt mit längerer Aufenthaltsdauer nach oben (Abbildung 2). 39 Prozent der erwerbstätigen Geflüchteten aus der Ukraine waren im Mai 2024 in Vollzeit, 36 Prozent in Teilzeit beschäftigt. Insgesamt 83 Prozent sind in Deutschland als Angestellte Beschäftigte, 8 Prozent als Arbeiter und 8 Prozent als Selbstständige. 

ABBILDUNG 2
Erwerbstätigenquote der ukrainischen Geflüchteten nach Aufenthaltsdauer Anteile in Prozent an Personen im erwerbsfähigen Alter

Quelle: IAB-BIB/FReDA-BAMF-SOEP Befragung „Geflüchteten aus der Ukraine in Deutschland“, Erste Welle (2022) und zweite Welle (2023), gewichtete Werte. Bundesagentur für Arbeit (2024)

Der Faktor Geschlecht führt auch bei ukrainischen Geflüchteten zu Unterschieden. Grundlage der Analysen sind rund 11.700 Interviews mit ukrainischen Männern und Frauen, die zwischen dem 24. Februar und 8. Juni 2022 nach Deutschland gekommen sind. Einige zentrale Ergebnisse sind: 

  • 37 Prozent der Geflüchteten möchten für immer oder mehrere Jahre in Deutschland bleiben, 34 Prozent bis Kriegsende, 27 Prozent sind noch unentschieden und 2 Prozent planen, Deutschland innerhalb eines Jahres wieder zu verlassen. 
  • 80 Prozent der Geflüchteten sind Frauen, 77 Prozent sind ohne Partner nach Deutschland gekommen und 48 Prozent mit minderjährigen Kindern. 12 Prozent leben mit ihren Partnern und minderjährigen Kindern in Deutschland. Von den Männern leben 71 Prozent mit ihrer Partnerin in Deutschland. 
  • 72 Prozent der Geflüchteten verfügen über einen Hochschulabschluss.
  • Nur vier Prozent verfügten beim Ankommen über Deutschkenntnisse, die Hälfte besuchte zum Zeitpunkt der Befragung bereits einen Deutschkurs. 
  • Zum Zeitpunkt der Befragung waren 17 Prozent erwerbstätig, davon 71 Prozent in einem Job, der einen Berufs- oder Hochschulabschluss erfordert. 

Gefragt, woran es besonders hapert, haben viele Geflüchtete Unterstützungsbedarf insbesondere beim Spracherwerb, bei der Arbeitssuche und bei der Wohnungssuche geäußert. 

Fazit: Was für ein Turbo ist der Job-Turbo?

Die Erwerbstätigenquote von Geflüchteten aus der Ukraine hat sich von 16 Prozent im Sommer 2022 auf 30 Prozent im Frühjahr dieses Jahres nahezu verdoppelt. Das teilte das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung am 24 Oktober mit.10 30 Prozent der Befragten befinden sich aktiv auf Jobsuche. Die Gründe, warum viele das noch nicht tun, sind vielfältig. Die meisten geben an, sich aktuell in einem Integrations- oder Sprachkurs zu befinden. Das Fehlen von Betreuungsmöglichkeiten für Kinder erschwert vielen eine Arbeitsaufnahme. Dazu kommen fehlende Qualifikationen oder die schleppende Anerkennung von Abschlüssen. 

Die Integration in den Arbeitsmarkt verläuft für Geflüchtete aus anderen Herkunftsländern langsamer als für Ukrainer:innen. Gründe liegen in der oft niedrigeren Qualifikation – die Hälfte der ukrainischen Geflüchteten hat einen akademischen Abschluss –, und teilweise in bestehenden Wohnsitzauflagen, die eine Arbeitsaufnahme deutlich erschweren. Die unterschiedlichen Hemmnisse betreffen Frauen viel häufiger als Männer. Nur 22 Prozent der ukrainischen Frauen mit Kleinkindern sind erwerbstätig und 32 Prozent der Mütter mit schulpflichtigen Kindern. Bei den Männern sind 41 Prozent erwerbstätig. 

Der Bundesrechnunghof hatte Ende Oktober in einem Prüfbericht an den Haushaltsausschuss des Bundestages eine kritische Bilanz ein Jahr nach Einführung des Job-Turbo gezogen. Der „Stern“ hatte zuerst darüber berichtet und von einem „verheerenden Ergebnis“ der Prüfungen geschrieben. Je nach politischer Ausrichtung des berichtenden Mediums war die Rede von „Vernichtendes Urteil“ (FAZ), „Bundesrechnungshof sieht Mängel …“ (Tagesspiegel), „Bundesrechnungshof erklärt Jobturbo für gescheitert“ (Welt), „Job-Turbo floppt“ (Bild). 

Konkret hatte der Bundesrechnungshof die Betreuung durch die Jobcenter bemängelt, hieß es im dpa-Bericht vom 1. November. In 32 Prozent der Fälle habe keine Beratung während der Integrationskurse stattgefunden, was in vielen Fällen zum Kursabbruch geführt habe. Vermittlungsvorschläge nach Abschluss des Kurses erhielten den Angaben zufolge viele Ukrainer:innen nicht, und wenn doch, dann mit einer Erfolgsquote von einem Prozent, in dem die Vermittlung zu einer Einstellung geführt habe. Das erklärte Ziel des BMAS, den Staatshaushalt dadurch, dass die Ukrainer:innen aus dem Bürgergeld in Arbeit kommen, um ein Milliarde Euro zu entlasten, hält der Bundesrechnungshof für unrealistisch. Stattdessen ist die Rede von „erheblichen Mehrausgaben“ beim Bürgergeld, schrieb dpa in dem Bericht. 

Um den Problemen Abhilfe zu schaffen, müssten mehr Vermittlungsvorschläge unterbreitet werden und die Voraussetzungen für einen schnelleren Spracherwerb und die Integration in den Arbeitsmarkt geschaffen werden. 

Eine „vernichtende Kritik“ ist das sicherlich nicht, auch kein „Scheitern“ oder „Flop“. Der Bundesrechnungshof kritisiert letztlich das, was BA-Chefin Andrea Nahles und teilweise die Gewerkschaften schon zu Beginn des Job-Turbos bemängelt hatten: Es müssen mehr Sprachkurse angeboten werden, die Jobcenter brauchen mehr Geld und Ressourcen, und die Kinderbetreuung muss deutlich verbessert werden. Die letzten beiden Punkte gelten nicht nur für Geflüchtete. 

Zudem muss darauf geachtet werden, dass Geflüchtete in Arbeitsstellen landen, die ein auskömmliches Einkommen und gute Arbeitsbedingungen bieten. Wenn Arbeitgeber für die Sprachkurse nicht freistellen, wenn die Ukrainer:innen aus Ermangelung der Sprachkompetenzen, ihre Rechte nicht kennen, drohen sie dauerhaft in prekärer Arbeit festzustecken und letztlich wieder im Bürgergeld zu landen. 

Der Verweis auf Dänemark, wo die Beschäftigungsquote der ukrainischen Geflüchteten bei 70 Prozent liegt, ist wenig hilfreich. Während in Deutschland gilt „erst der Spracherwerb, dann der Job“, lautet die Devise in Dänemark „Work first“. Ulrich Walwei stellte fest, dass der dadurch im zweiten Jahr nach Ankunft entstehende Effekt auf Beschäftigung und Löhne nach drei bis vier Jahren wieder verschwinde. Zudem sei ein negativer Effekt auf den Spracherwerb zu erwarten, was vielleicht zu kurzfristigen Erfolgen führe, aber langfristig wieder negative Konsequenzen nach sich zieht. 

Der Job-Turbo kann also nur in einem gut funktionierenden Umfeld seine Wirkung entfalten – mit ausreichend Ressourcen in den Jobcentern, ausreichend Weiterbildungs- und Qualifikationsmöglichkeiten und einer zügigen Anerkennung von Berufsabschlüssen. Wenn das gegeben ist, kann der Job-Turbo funktionieren. Ansonsten bleibt er wie die sprichwörtliche Bettdecke, die immer an einer Ecke zu kurz bleibt, egal wie oft man daran zieht. 

Zuerst veröffentlicht in SozSich 11/2024, S. 10ff.
www.bund-verlag.de/zeitschriften/soziale-sicherheit

  1. Vgl. UNHCR: „Ukraine Situation Flash Update“, Ausgabe vom 15. 10. 2024, Online unter https://data.unhcr.org/en/situations/ukraine (abgerufen am 30. 10. 2024).
    ↩︎
  2. Vgl. Pressemitteilung des Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung vom 24. (BiB) Oktober 2024, online unter www.bib.bund.de/DE/Presse/Mitteilungen/2024/2024-10-24-Schutzsuchende-aus-der-Ukraine-Potenziale-fuer-den-deutschen-Arbeitsmarkt-besser-nutzen.html (abgerufen am 3. 11. 2024).  ↩︎
  3. Zur aktuellen Debatte darum, ob Geflüchtete aus der Ukraine wieder Leistungen nach dem Asylberwerberleistungsgesetz erhalten sollen – und ob das rechtlich überhaupt möglich ist, siehe Hoenig, Ragnar; Kuhn-Zuber, Gabriele: „Existenzsicherung von Geflüchteten in Deutschland – Kann Geflüchteten aus der Ukraine das Bürgergeld gestrichen werden?“, in SozSich 10/24, S. 24-27. ↩︎
  4. Vgl. Schork, Franziska; Loschert, Franziska; Kolb, Holger 2022: „‚Zeitenwende‘ bei der Arbeitsmarktintegration? Teilhabe und Prekarität von Ukrainerinnen und Ukrainern am deutschen Arbeitsmarkt.“ SVR-Policy Brief 2022-3, Berlin. Online unter www.svr-migration.de/wp-content/uploads/2022/08/PB_Zeitenwende_bei_der_Arbeitsmarktintegration.pdf (abgerufen am 3. 11. 2024). 
    Verwiesen sei auf das Forschungsprojekt „Prekäre Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften und Perspektiven für ihre Teilhabe in Deutschland“ der selben Autor:innen. Sie untersuchten für den Sachverständigenrat Migration (SVR) für den Zeitraum vom 1. April 2021 bis 30. September 2023 die Teilhabechancen und -hürden von zugewanderten EU- und Nicht-EU-Arbeitskräften. Online unter www.svr-migration.de/publikation/prekaere-beschaeftigung (abgerufen am 3. 11. 2024).  ↩︎
  5. In Polen lebte vor dem Krieg die größte ukrainische Dispora. Ein wesentlicher Grund dafür war, dass so vielen polnische Bürger:innen in Deutschland arbeiteten, dass Polen seinen Arbeitskräftebedarf weiter im Osten decken musste. Schork, Loschert und Kolb (FN 4) sprechen an der Stelle von „grenzüberschreitenden regionalen Ketten der Arbeitsmigration“ (S. 14). ↩︎
  6. Schork, Loschert, Kolb (FN 4), S. 20. ↩︎
  7. Der volle Name: „Richtlinie 2001/55/EG über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten.“ Diese Richtlinie war eine Reaktion auf die große Zahl der Geflüchteten im Jugoslawienkrieg. Sie sollte Abhilfe schaffen in Lagen, in denen die geltenden Nomen nicht ausreichen.  ↩︎
  8. „Auswirkungen der Fluchtmigration aus der Ukraine auf den Arbeitsmarkt und die Grundsicherung für Arbeitsuchende“, in: Arbeitsmarkt kompakt Oktober 2024, Bundesagentur für Arbeit, veröffentlicht am 30. 10. 2024. Online: https://statistik.arbeitsagentur.de (abgerufen am 31. 10. 2024).  ↩︎
  9. Vgl. Brücker, Herbert et al: „Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland: Ergebnisse der ersten Welle der IAB-BiB/FReDA-BAMF-SOEP Befragung.  ↩︎
  10. Siehe Fußnote 2. ↩︎