Es ätzt und juckt. Georg Kreisler legt einen Lyrikband vor
Von Jörg Meyer
Kreisler zitiert Max Beerbom: »Wenn man ein Schaf auf zwei Beine stellt, ist es deswegen kein Mensch. Aber wenn man eine ganze Schafherde auf zwei Beine stellt, ist es ein Publikum.« Das laute Lachen im Leipziger Centraltheater quittierte Georg Kreisler mit dem Satz: »Das ist nicht nur komisch, sondern auch richtig.« Und weiter: »Das Publikum ist grausam, fast so grausam wie ein Literaturkritiker, wobei ein Publikum, im Gegensatz zum Kritiker, intelligent ist.
Der Autor, Komponist und Satiriker hat seinen ersten Band ausschließlich mit Lyrik vorgelegt, stellte diesen zur Leipziger Buchmesse vor. »Zufällig in San Francicso – unbeabsichtigte Gedichte« heißt das Buch, das jüngst im Berliner Verbrecher Verlag erschienen ist. Das Wort »unbeabsichtigt« erklärt Kreisler im Vorwort so: »Ich fange jeden Morgen an zu dichten und höre erst abends auf, das heißt: Ich werfe das Gedichtete in den Papierkorb, und wenn der Papierkorb schon voll ist, lege ich es stattdessen in eine Schublade und vergesse es. Dann kommt es, ebenfalls unbeabsichtigt, in ein Buch wie dieses.« Seine Texte nennt der nunmehr 87-Jährige »verbesserungswürdig«, und folgert: »Wer ein Gedicht schreibt, darf nicht sterben, denn er muss seine Gedichte immer weiter verbessern.«
Das Buch enthält 50 Gedichte und drei längere Texte; neben Betrachtungen übers Dichten an sich wird einmal mehr in ihnen ein roter Faden sichtbar, der auch Kreislers Lieder, die er seit 2001 nicht mehr selber aufführt, durchzieht: die Geschichte von Emigration, Exil, die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus, eine politisch-satirische Abhandlung von Militarismus und Duckmäusertum und ätzende Gesellschaftskritik. Aber auch die nachdenkliche Auseinandersetzung mit dem Alter findet sich in mancher Zeile.
Das Exil ist etwas, das Kreisler, 1922 in Wien geboren und 1938 mit seiner Familie von den Nazis zur Emigration in die USA gezwungen, prägt: »Während man ein Gedicht zu Papier bringt, ist man allein und, ganz ähnlich, wenn man verfolgt wird, ins Exil geht oder träumt, ist man allein. […] Exil ist nicht traurig, Exil ist definitiv.«
Zusammen mit seiner Frau, der Schauspielerin und Sängerin Barbara Peters, las Kreisler im März im Centraltheater. Mit klarer Stimme, wachen Augen und einer Mimik, die alleine Bände spricht, brachte er das Publikum mit, einzelnen Zeilen oder ganzen Passagen immer wieder zum Lachen – nur einen Satz weiter blieb das Lachen aber wieder im Halse stecken.
In Händen hält man ein hellblaues, freundlich daherkommendes Buch mit teils unfreundlichem Inhalt, garstigen Betrachtungen und Einschätzungen. Gefällig gereimt wird es sicherlich dem einen oder anderen bürgerlichen Leser ein freundliches »Hohoho!« entlocken oder ein erzürntes »Das geht nun wirklich zu weit«. Gerade das macht die »unbeabsichtigten Gedichte« so lesenswert: »Ein Gedicht ist eine rundum glückliche Sache, außer für den Dichter. Die meisten Leute glauben zu wissen, was sie sich wünschen, dabei wünschen sie sich nur, was man ihnen einredet, ein Gedicht hingegen will nichts vom Leser, ein Gedicht muss der Mensch lesen wollen, über ein Gedicht muss er nachdenken wollen.«
Kunst
Da wundert man sich über gar nichts mehr!
Es liegen mir Dornen zu Füßen,
und der Fürst von Trabant und die Bundeswehr
lassen mich herzlich grüßen.
Und mein Nachbar hat meine Schulden bezahlt,
und der Papst wurde heute ertränkt,
und der Fink und der Funk und der Staatsanwalt
haben mir einen Goldfisch geschenkt.
Und ein Pferd hat genau vor der Oper gekotzt,
und ein Löwe hat’s aufgefressen.
Eine schöne Frau hat mit angeglotzt
und mich dann als Nachtisch gegessen.
Und die Blumen und Bäume blühen in pink
und die Nachtigallen in blau.
Meine Frau wurde plötzlich ein Schmetterling
und ein Schmetterling meine Frau.
Da hab ich gerufen: Das ist alles so schön!
Paßt auf, daß es nicht wieder kracht!
Und blutüberströmt blieben alle stehn
und haben mich ausgelacht.
Georg Kreisler: Zufällig in San Francisco – unbeabsichtigte Gedichte. Verbrecher Verlag, 128 S., geb., 19 €.
Zuerst erschienen in “neues deutschland” am 7. April 2010.